http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2004/0077
Die Sigmaringer Turner zur Mitte des 19. Jahrhunderts
wegen republikanischer Umtriebe Verhaftung etcetera gedroht. Auch hiergegen verwahrte
sich Fatio entschieden. Er sei vielmehr schleunigst nach Hause gerufen worden
und fügte hinzu: Ich hielt mich nie für eine in politischer Beziehung so wichtige Person,
daß ich mich den Gerichten durch Flucht hätte entziehen wollen; rein Familienverhältnisse
bestimmten meine schnelle Abreise. Deutlich spürt man das Bemühen, sich eine
spätere Rückkehr nach Hohenzollern offen zu halten. Bei einem Bekenntnis zu den
demokratischen Kräften wäre dies sicherlich erschwert gewesen. Auch habe er - so fährt
er in seiner Gegendarstellung fort - jemanden gebeten, einige Worte des Abschieds in den
Erzähler einrücken zu lassen. Seine überstürzte Abreise hat jedoch bei den - wie er
ironisch anmerkt - guten Freunde der Sigmaringer Turngemeinde zu erheblichen Missstimmungen
geführt. Denn er hatte, dies bestritt er nun keineswegs, zur Begleichung der
Reisekosten auf die Turnkasse zurückgegriffen: Wahr ist es, dass, als ich unerwarteten
Auftrag zur schleunigen Abreise erhielt, meine Kasse leer war; ich konnte deshalb meine
Gläubiger nicht befriedigen, ja musste vielmehr den Vorrat der Turnkasse als Reisegeld
benutzen. Aber meine Gläubiger werden alsbald befriedigt werden, und der Turnkasse
leistete ich vor meiner Abreise durch Bürgschaft Sicherheit. Rechnung konnte ich in der
Schnelligkeit nicht mehr ablegen, da ich nur noch wenige Zeit übrig hatte, und übergab
deshalb meine Papiere dem Sprecher der Turngemeinde. Der Schluss der Ehrenerklärung
Fatios bestätigt erneut politische Motive als Ursache seiner schnellen Abreise.
Er vermutete nämlich, dass die Beschuldigungen gegen ihn nicht nur ihm persönlich
gelten, sondern dass seine Gegner die ganze Partei, der ich angehöre, begeifern möchten.
Auch verifizierte er nun doch das kursierende Gerücht seiner Auswanderung nach
Amerika: Wenn Euch diese Worte zu Gesicht kommen, bin ich bereits auf der Reise nach
dem freien Amerika. Er plane, so schließt seine Ehrenerklärung, seine Rückkehr nach
Sigmaringen in ein oder zwei Jahren.
Diese aufschlussreiche Episode aus einem offensichtlich bewegten Turnerleben
bietet tiefere Einblicke in den Sigmaringer Turnverein. Das Gründungsmitglied
Parmenio Fatio gehörte eindeutig den Demokraten an und musste - sicherlich aufgrund
des Scheiterns der Septemberrevolution - Sigmaringen fluchtartig verlassen.
Zudem stand Fatio offensichtlich in der vordersten Reihe der revolutionären Kämpfer
. Die Flucht war so überstürzt, dass er sogar auf die Kasse der Turner zugreifen
musste. Dies geschah mit Wissen des damaligen Sprecher Rhein, denn diesem hatte er
seine Papiere (wohl die Kassenbelege und Rechnungsbücher der Turner) übergeben.
Und der Sprecher Rhein unterstützte augenscheinlich zudem die Flucht seines Sportfreundes
. Schließlich hatte dieser die Papiere offensichtlich ohne Widerrede übernommen
. Auch Rhein gehörte den Demokraten an beziehungsweise sympatisierte
mit ihnen. Aber nicht alle Turner waren Demokraten. Denn die heftigen Vorwürfe
gegen Fatio sind vermutlich von Turnern aus dem eigenen Verein erhoben oder
zumindest initiiert worden. Nicht grundlos sprach er, deutlich ironisch gemeint, von
den guten Freunde der Sigmaringer Turngemeinde41. Spätere Sigmaringer Turnergenerationen
sahen in der Flucht und der Entwendung der Turnkasse durch Fatio nur
noch einen kriminellen Akt43.
42 Diese Passage ist im Erzähler durch Sperrung hervorgehoben.
43 So in der Festschrift von 1912 (wie Anm. 3).
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