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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2004/0104
Barbara Guttmann, Ute Grau

erleichterte den Frauen die Arbeit des Waschens. 1883 konnte man auch das Ladengeschäft
mit „gemischten und Ellenwaren sowie Spirituosen", das die Familie Schöller
weiterhin zur Existenzsicherung betrieben hatte, schließen. Im ehemaligen Laden
schnitt nun die gerade 17 Jahre alte Tochter Anna mit einer Arbeiterin die Stoffe zu
und überwachte außerdem den Nähbetrieb46.

Wurde die Zahl der betriebenen Rundstühle zu groß, um alleine von den Familienmitgliedern
bedient zu werden, engagierte man weitere Wirker. Der Betreiber der
Wirkstühle wurde damit zum sogenannten „Faktor" oder Zwischenmeister, der mit
dem Unternehmen, für das er arbeitete, in der Regel jedoch keinen Vertrag hatte.
Daher konnte er auch mit den Unterarbeitskräften keine verbindlichen Vereinbarungen
treffen. Aus diesem Grund arbeitete man häufig mit Verwandten. „Faktor" und
Hilfskraft standen somit sozial auf einer Stufe47.

Die Feststellung, dass sich die Tailfinger Industrie aus den (Wohn-)Stuben heraus
entwickelte, ist nicht alleine als eine räumliche Bestimmung des Standorts der
Maschinen zu verstehen, vielmehr verweist dies auch auf die spezifische ökonomische
und gesellschaftliche Situation der Region. Hier in Tailfingen finden wir nicht die
Unternehmensgründer bürgerlicher Schichten, die außer Haus, im „öffentlichen
Raum" ihre Firmen aufbauten, während ihre Ehefrauen zu Hause für Haushalt und
Kindererziehung sowie für Repräsentation zuständig waren. Die die bürgerliche
Gesellschaft kennzeichnende Trennung von öffentlicher und privater Sphäre war hier
noch nicht vollzogen. Die Stube - in der bürgerlichen Familie privater Ort - war
zugleich Produktionsstätte, in den Produktionsprozess war die ganze Familie mit einbezogen
.

7. DIE EHE ALS ARBEITS-, BESITZ- UND VERSORGUNGSGEMEINSCHAFT
Das Arbeitsvermögen der Ehefrau, wie auch ihr Vermögen, waren beim Aufbau der
Tailfinger Textilindustrie wichtige Produktionsmittel. Die Ehe wurde als eine lebenslange
Besitz-, Arbeits- und Versorgungsgemeinschaft betrachtet und mit der Heirat
wurde in der Regel angestrebt, die ökonomischen Verhältnisse einer Familie zu optimieren
. Das ökonomische Fundament dieser „Wirtschaftseinheit Familie" bildeten in
der bäuerlichen Gesellschaft Grund und Boden, das Haus als Arbeits- und Wohnort
sowie das Arbeitsvermögen der Ehepartner.

Die ortsansässigen Familien suchten durch ihre Heiratspolitik die Schichten hermetisch
gegeneinander abzuschließen48. Oft wurden Frauen von ihrem Bräutigam
verlassen, wenn dieser eine reichere Braut fand. Gebar die Verlassene dann ein uneheliches
Kind, war ihre Existenz gänzlich ungesichert. Anstelle des Ehemanns musste

46 Lehmann (wie Anm. 16), S. 70.

47 Reinhard (wie Anm. 27), S. 59f.

48 Sylvia Schraub Sozialer Wandel im Industrialisierungsprozeß. Esslingen 1800-1870.
Esslingen 1989 (Esslinger Studien 9), S. lOOff.

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