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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2004/0118
Barbara Guttmann, Ute Grau

seien meist „... primitiv, dreckig, schlecht belüftet"94. Auch Ankleideräume für Arbeiterinnen
gab es in den wenigsten Fabriken, und wenn es sie gab, waren sie meist kalt
und feucht.

Stellte die Firma Balthas Blickle's Wwe hinsichtlich der Toiletten-Einrichtung in
jener Zeit eher eine positive Ausnahme dar, waren Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen
die üblichen in der Trikotagen-Industrie um 1900. In Zeiten der Hochkonjunktur
kamen zusätzlich zur üblichen elf-stündigen Arbeitszeit oft noch Uberstunden
hinzu. Die württembergische Gewerbeaufsicht berichtete in jenen Jahren immer
wieder, dass gerade in der Textilindustrie die meisten Uberstunden geleistet würden.
So fielen z. B. im Jahr 1900 allein im zweiten Aufsichtsbezirk, der neben den Oberamtsbezirken
Stuttgart-Amt und Böblingen den Schwarzwaldkreis (mit Ausnahme
der Oberamtsbezirke Calw und Neuenbürg) mit dem Oberamt Balingen umfasste,
63% aller bewilligten Uberstunden in der Textilindustrie an. Insgesamt wurde für
6.462 Arbeiterinnen Uberarbeit bewilligt, von diesen waren 4.375 oder 67,7% in der
Textilbranche beschäftigt95.

Nicht selten kam es auch vor, dass Arbeiterinnen nach der Fabrikarbeit noch
Arbeit mit nach Hause nahmen, so z. B. in einer nicht näher bezeichneten mechanischen
Wirkerei, wo die Arbeiterinnen tagsüber in der Fabrik Netzjacken zusammennähten
und abends diese mit nach Hause nahmen, um Zugbänder einzuziehen96.

Lange Arbeitszeiten, schlechte Arbeitsbedingungen und die Mehrfachbelastung
führten häufig zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Arbeiterinnen. Anämie,
im damaligen Sprachgebrauch als „Blutarmut" und „Bleichsucht" bezeichnet, trat als
typische Übermüdungserscheinungen bei Frauen und jugendlichen Arbeiterinnen
vier bis fünfmal so oft auf wie bei Männern. Hinzu kamen infolge der starken Staubentwicklung
in den unbelüfteten Fabrikationsräumen Atemwegserkrankungen sowie
Appetitlosigkeit und Magenbeschwerden97.

Gesundheitliche Beeinträchtigungen der Arbeiterinnen wirkten sich auch auf die
Säuglingssterblichkeit aus. Diese lag im Oberamt Balingen 1880 insgesamt zwar leicht
unter dem Landesdurchschnitt, sieben Gemeinden des Bezirks lagen jedoch darüber:
Tailfingen, Ebingen, Truchtelfingen, Burgfelden, Pfeffingen, Lautlingen und Winterlingen
. Tailfingen hatte mit 5,79 Geborenen je 100 Einwohner zwar die höchste
Geburtenrate im Bezirk aufzuweisen, gleichzeitig war jedoch auch die Säuglingssterblichkeit
relativ hoch. Fast 32% der Neugeborenen starben im ersten Lebensjahr,
und in 52,6% aller Todesfälle handelte es sich um Säuglinge unter einem Jahr. Der
Amtsbericht vermerkte, es ließen sich aus der Statistik nur schwerlich Rückschlüsse
ziehen, ... ob und in welcher Weise Beschäftigung und Lebensart in den einzelnen
Gemeinden einen nachtheiligen Einfluß auf Pflege und Auferziehung der Neugebo-

94 (wie Anm. 92), S. 50.

95 Jahresbericht der Gewerbe-Aufsichtsbeamten im Königreich Württemberg für 1900.
Stuttgart 1901, S. 154f.

96 Ders. für 1910. Stuttgart 1911, S. 132.

97 Stein (wie Anm. 14), S. 84f.

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