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Hans Albrecht Oehler
dieser Geschichten, die die Kleinen bezaubern werden durch ihre Quellfrische, die
Großen durch ihre intime, fast heimliche Vertiefung.
„ Woher sie nur immer die Einfälle hat?" sagte mir eine erwachsene Leserin, „und
nie, nie wiederholt sie sich!" Ja, das ist eben das Kennzeichen der Hochbegabung für
ein betreffendes Gebiet.
Hier allerdings irrte die Rezensentin. Es ist vielmehr kennzeichnend für die
schriftstellerische Ökonomie der Autorin, dass im Laufe der Jahre und in der Reihe
der Bücher Handlungsstränge, Situationen, Figuren immer wieder in neue Zusammenhänge
überführt und erneut vorgeführt werden.
Die Empfehlung fährt fort:
Man wird immer mehr auf Maria Batzer achten lernen, man sollte es wenigstens.
Ihre Bücher gehören in jede gebildete, kindergesegnete und kinderliebe Familie, in
jede Jungmädchen= und Frauenbibliothek. Den Müttern und Erziehern empfehle ich
sie vor allem: als Schatzkammer reicher, tiefer, zarter Beobachtung des Kindergemütes
. Und zwar der Knaben= wie der Mädchenseele. Ich bin überzeugt: wer das eine
dieser Bücher kauft und liest, holt sich das andere baldmögichst nach11.
Das eine war also Aus frohen Kindertagen. Da überrascht zunächst der Titel einer
der Geschichten: Krieg, dann zeigt sich im Text aber ein erstaunlicher und erfreulicher
Pazifismus. Er beginnt: Krieg ist etwas Furchtbares, das Leid und Jammer
bringt. Keiner kann sagen: Dies ist mein Eigentum; morgen kommt der Feind und
nimmt sein kostbarstes Gut. Keiner kann sagen: Ich bin der Sieger; eben schreit er
laut hurra, da kommt unerwartet eine starke Großmacht, und der Sieger wird
geschlagen12.
Das kleine Lisebabetchen wird von den Nachbarskindern ausgenutzt, muss - in
Erinnerung an den Boxerkrieg - das chinesische Kriegsopfer der verbündeten Deutschen
und Franzosen spielen:
Sie Chineser, Sie Töter, schreit Deutschland überlaut, und jetzt müssen Sie sterben!
- Frankreich, ne Scher her, nun kommt das Alerallerschönste, der Zopf vom Chineser
muss runter, her damit, sag ich, her damit, Sie Schuft, Sie Chineser!
Weil Frankreich keine Schere zur Hand hat, Deutschland aber unter allerlei
Gerümpel wie Nägel, Kreide, Süßholz, ein Messer in der Hosentasche findet, wird
dem Chinesen damit das starre Zöpfchen abgesägt.
In der Kindergeschichte gibt es, glücklicher als in der Kriegswirklichkeit, die
Großmacht Großvater, der die kleine Gefangene befreien und die Übeltäter zu Wiedergutmachungsleistungen
aus ihren Spielschränken zwingen kann. Und der Text
endet mit der Mahnung: O, sorget für Frieden, Krieg bringt nur Leid und Jammer
und nimmt manchem sein teuerstes Gut.
11 E. M. Hamann in: Allgemeine Rundschau, zitiert in der Anzeige von „Aus fohen Kindertagen
" u. „Torwarthäuschen", die dem Band „Bunter Garten"angebunden ist
12 Maria Batzer: Krieg. In: Bunter Garten, hg. Von Agnes Zilcher; unter Mitwirkung von
Maria Batzer, Josephine Siebe u.a. Nürnberg [1915] S. 82-89.
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