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Der Fall Otto Nerz - ein sporthistorisches Märchen
besübungen an der Universität Berlin43. Nerz erreichte die nächste Stufe der Karriereleiter
. Er suchte mit fast 46 Jahren eine neue berufliche Herausforderung.
Die weiteren Gründe für den Rücktritt im Fachamt lassen sich ahnen. Anfang Mai
war Nerz bei Herberger in Duisburg. Dort bereitete sich die neue großdeutsche
Nationalelf auf das Spiel gegen England in Berlin vor, Herberger leitete den Lehrgang.
Nerz brachte überraschende Neuigkeiten mit nach Duisburg. Die neue Mannschaft
sollte in Berlin gar nicht zusammen spielen, stattdessen waren zwei getrennte Mannschaften
gewünscht. Altreich und Ostmark. Am 14. Mai, so berichtete Nerz, spiele
die alte Nationalmannschaft gegen England und am 15. Mai die alte österreichische
Mannschaft gegen Aston Villa. Reichssportführer von Tschammer und Osten habe
das so entschieden und dem Wiener Gausportführer Rainer versprochen. Vielleicht
lasse Arthur Stenzel noch mit sich reden, meinte Nerz schließlich noch. Herberger
ärgerte sich über die Maßen über diese Neuigkeit, weil ihm Fachamtsleiter Felix Linnemann
zuvor die gemischte Aufstellung der Mannschaft befohlen hatte.
Herberger notierte sich damals, Nerz sei bei dem Gespräch kühl bis ans Herz hinan
geblieben. Vielleicht stand sein Entschluss zu diesem Zeitpunkt fest, auch wenn
der Brief noch nicht geschrieben war. Die Änderung der Länderspielplanung gab sehr
wahrscheinlich den Anlass zum Rücktritt. Nerz fand, dass sich die Politik zu viel in
den Fußball einmischte. Fachamts-Leiter Felix Linnemann hatte nichts mehr zu
sagen, von den neuen Vorgaben zur Mannschaftsaufstellung wusste er nicht einmal44.
Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten hatte inzwischen die gesamte
Länderspielplanung an sich gezogen. Auch Verwaltungsarbeiten lagen in der Zuständigkeit
des Reichsbunds für Leibesübungen. Arthur Stenzel war sein Schatzmeister.
Uber ihn liefen die Spesenrechnungen für die Länderspiele. Natürlich hatte er Zugang
zum Reichssportführer. Dass Herberger, wie von Nerz anheim gestellt, bei ihm vorgesprochen
hat, ist anscheinend nicht bekannt. Auf jeden Fall blieb es bei der Entscheidung
des Reichssportführers. Am 14. Mai lief eine deutsche Mannschaft mit
einem Österreicher und am 15. Mai eine österreichische Mannschaft mit einem Deutschen
auf den Platz. Johann Presser war der erste Österreicher im deutschen Nationaltrikot
, Jackl Streitle spielte bei den Österreichern.
Bei dem Gespräch mit Herberger in Duisburg war Nerz auf der Reise nach England
, wo er die Gastmannschaften abholen und nach Berlin begleiten wollte. Zurück
in der Hauptstadt, war er wieder im Lager der Nationalmannschaft. Uber seinen
Brief redete er nicht, auch nicht mit Herberger. Nerz erledigte seinen Job.
43 Hz. Bl. Nr. 95/26.04.1938, 96/27.04.1938. Krämer (wie Anm. 3) S. 172. Den Direktorenposten
im Sportpraktischen Institut verleihen Otto Nerz bereits 1936 z. B. Buschmann/Lenn-
artz/Steinkemper (wie Anm. 4) S. 43 („vor Beginn der Spiele"). Schwarz-Pich (wie Anm. 2)
S. 82, 110 („Frühjahr 1936" und „April"). Krämer (wie Anm. 3) S. 165 ist ungenau: ab Sommer
1936 vollamtlicher Professor der Reichsakademie. Havemann (wie Anm. 4) S. 155 legt sich
nicht genau fest: „kurze Zeit" nach der Promotion im Oktober 1936, vgl. S. 280. Keiner der
Autoren beurteilt den Wechsel 1938 mit korrekten biographischen Prämissen.
44 Nach Herbergers Notizen war Linnemann bei seinem Anruf ahnungslos, s. Leinemann
(wie Anm. 4) S. 165.
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