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Edwin Ernst Weber
an, dass er kein vielleicht unwillkommener Gast sein und die Versammlung sowie den Sitzungssaal
des Landeshauses, wo er fast 20 Jahre lang mit den Abgeordneten redlich zu arbeiten
bestrebt gewesen sei, gleich wieder verlassen und wohl für immer Abschied davon
nehmen wolle.68 Auch an den Gesprächen zwischen Ministerialdirektor Dr. Meister vom preußischen
Innenministerium sowie Vertretern des Landesausschusses und von Verbänden und
Interessengruppen aus Hohenzollern am 17. April 1919 über die künftige staatliche Zugehörigkeit
des Sigmaringer Regierungsbezirks nimmt Brühl auf der staatlichen Verhandlungsseite
offenkundig nur noch als Statist teil.69
Wie er einige Jahre später in seinen vom Sigmaringer Stadtchronisten Franz Keller erbetenen
Lebenserinnerungen offen bestätigt, missbilligt Graf Brühl die politischen Veränderungen in
Hohenzollern wie in Deutschland insgesamt seit November 1918 von Grund auf. Die erwähnte
Delegation hohenzollerischer Politiker - gewisser einflußreicher Herren - zu Fürst Wilhelm am
13. November 1918 bewertet er als ein Abtrotzen einer Verzichtserklärung bezüglich bisheriger
, rechtmäßiger fürstlicher Vorrechte sowie als schlechtes Beispiel für spätere rohe Gewalttaten
bei einem noch zu schildernden Demonstrationszug im Februar 1919.70 Darüber hinaus
hätten einige Ehrgeizlinge für Verwirrung der Gemüther durch die Behauptung gesorgt, bei der
Einverleibung Hohenzollerns durch Preußen sei das Fürstenhaus zu gut, das Land aber zu
schlecht weggekommen. Erst als nachgewiesen worden sei, welch hohe Zuschüsse Preußen alljährlich
an Hohenzollern geleistet habe, legte sich die künstliche Aufregung", bekundet Brühl
seinen Standpunkt in der hohenzollerischen „Domänenfrage".71
11. Im Visier der revolutionären Kräfte
Offen ins Visier der revolutionären Kräfte gerät Regierungspräsident Graf Brühl bei einer Demonstration
von rund 500 überwiegend auswärtigen Kriegsteilnehmern und Kriegsversehrten
am 1. Februar 1919 in Sigmaringen. Bei dieser einzigen gewalttätigen Aktion in
Hohenzollern in den Revolutionswochen wird das Verlagsgebäude der zentrumsnahen „Hohenzollerischen
Volkszeitung" demoliert und der Redakteur des Blatts misshandelt; nach dem
Aufzug der Demonstranten vor dem Schloss wird mit dem Fürsten über die Verteilung einer
von diesem bereits zugesagten Spende von 2 Millionen Mark für Kriegsbeschädigte aus Hohenzollern
verhandelt.72 Ein weiteres Ziel der offenbar vom Sigmaringer SPD-Führer Friedrich
gelenkten Demonstranten ist das Regierungsgebäude in der Karlstraße, vor das den Schilderungen
Sauerlands zufolge schussbereit ein Maschinengewehr einer sog. Sicherheitswache
des Soldatenrats Heuberg in Stellung gebracht wird. Inmitten dieser bedrohlichen Situation, als
die Demonstranten gewaltsam die verschlossenen Türen des Regierungsgebäudes aufzubrechen
versuchen, kehrt Graf Brühl von einem Spaziergang zurück und geht unerkannt durch
die Menge. Als die Öffnung der Türen schließlich misslingt, lassen die Demonstranten vom
Regierungsgebäude ab und bleibt die darin wohnende Familie des Regierungspräsidenten unbehelligt
. Nach der Demolierung des Verlagsgebäudes und den bedrohlichen Aufzügen vor
Regierungsbau und Schloss unterbleiben weitere geplante und „verkündete" Gewalttaten laut
68 Sauerland (wie Anm. 67) Kap. A.III S. 3f.
69 Ebenda S. 11 f.
70 Brühl, Meine Tätigkeit in Hohenzollern (wie Anm. 19).
71 Ebenda.
72 Sauerland (wie Anm. 67) Kap. A.III.2 S. 5f.; KALLENBERG (wie Anm. 3) S. 185.
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