Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
45(130).2009
Seite: 203
(PDF, 60 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2009/0207
Talmi-Kultur und Klassen-Gegensätze

Levis Fabrik-Gesellschaft von 1884 hatte ein mittleres Einkommen von knapp 579
Mark. 60 Prozent davon, die Armutsgrenze, wären 347 Mark. Unter dieser Schwelle
lagen alle 200 auswärtigen Näherinnen, die durchschnittlich 260 Mark verdienten. Alle
525 Fabrikarbeiter und -arbeiterinnen zusammen lagen mit jährlich 408 Mark nur knapp
über dieser Armutsgrenze. Die 325 hiesige[n] Arbeiter hatten mit einem durchschnittlichen
Jahreseinkommen von 500 Mark einen Verdienst, der einiges oberhalb der Armutsgrenze
lag, aber noch deutlich unter dem mittleren Einkommen.

Levi rechnete allerdings anders. Er zählte einen Tagesverdienst von 2 Mark aus den
4 bedeutendsten Fabriken seiner Untersuchung hoch auf ein Jahreseinkommen von 600
Mark für Männer und 400 für Frauen und verschwieg, dass nach den von ihm selbst
genannten Lohnsummen nur eine kleine Minderheit der Arbeiter diesen Verdienst gehabt
haben kann. Alle von Levi gezählten Arbeiter und Arbeiterinnen hatten nämlich
nur den bescheidenen durchschnittlichen Tagesverdienst von 1,36 Mark. Realität für
viele war die Nähe zur Armutsgrenze.

Um den Rückschluss auf ganz Hechingen mit seinen etwa 3700 Einwohnern ziehen
zu können, ist Levis Fabrikgesellschaft sicherlich nicht groß genug. Bekanntlich kamen
Arbeiter auch aus den Dörfern in die Fabriken. Aber die Hoffnung auf einen breiteren
Mittelstand und ein höheres Durchschnittseinkommen für ganz Hechingen würde die
Fabrikarbeiter Jakob Levis eher näher zur Armutsgrenze hinziehen als von ihr weg.

Ein Fabrikbesitzer holte 1884 in Hechingen aus ein- und demselben Arbeitstag mindestens
zwölfmal so viel heraus wie ein Arbeiter. Jedem der 13 von Jakob Levi befragten
Fabrikanten stand ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 6154 Mark zur Verfügung
. Die Hohenzollerische Schuhindustrie von Edmund Schiele in Stetten, die als Aktiengesellschaft
ihre Bilanzen offen legte, wies 1910 - wie beschrieben - einen
Reingewinn von 32.867 Mark aus, die Dividende war in jenem Jahr eher niedrig. Trotzdem
ergäben sich für die fünf Aktionäre bei annähernd gleichem Anteil gut 6500 Mark
Jahresgewinn für jeden. Den Gesamtwert des Vermögens von Adolf Baruch junior,
dem Fabrikdirektor aus der Friedrichstraße, bezifferte die Israelitische Kultusgemeinde
1905 auf 80.000 Mark. Baruch und die Gemeinde gerieten darüber in Streit, weil er ein
Prozent Ehesteuer entrichten sollte. 400 Mark blätterte er schließlich hin235.

Einkommen, Gewinn und Vermögen in Beziehung zu setzen, ist zweifellos problematisch
. Doch allein die Differenz sagt viel: Bei einem - gut gerechneten - Jahreseinkommen
von 1100 Mark für männliche erwachsene Arbeiter 1910 lag der Vorteil der
Fabrikarbeit klar beim Fabrikanten. Die Unternehmensgewinne waren und blieben
hoch.

Als Unterschied zwischen 1884 und 1910 fällt auf, dass Jakob Levi und seine Unternehmerkollegen
in ihren Fabriken selbst aufpassten, die Schiele-Aktionäre aber in Tübingen
, Stuttgart und anderswo ihren Gewinn einstrichen und Geschäftsführer die

235 Hz. Bl. Nr. 288/21.12.1910. Orro Werner: Der Fall Adolf Baruch jun. und die Folgen (wie
Anm. 67) S. 37.

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