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Rolf Vogt
Arbeit vor Ort erledigen ließen. Das Kapital begann zu akkumulieren. Der Konzentra-
tionsprozess in der Industrie wird auch in Hechingen sichtbar. Mehrere Firmen gingen
in auswärtigen Besitz über. Die A. Gutmann & Co. aus Göppingen übernahm 1904
zwei Drittel der Anteile bei Baruch und ließ sich 1909 von Rudolf Einstein auch die
letzten Anteile verkaufen. Wechselnde und teils auswärtige Besitzer hatte auch die Tri-
kotindustrie an der Staig. Liebmann und Levi an der Neustraße wurden 1913 vom Bi-
singer Fabrikanten Heinrich Maute geschluckt, der auch andernorts expandierte. Jakob
Levi, seit 1887 Alleininhaber und inzwischen 68 Jahre alt, fehlte der Nachfolger. Sein
ältester Sohn Paul war Rechtsanwalt in Frankfurt geworden und hatte sich dort mit Rosa
Luxemburg angefreundet.
Kapitalinteressen scheinen auch das Schicksal von Moos & Rosenthal gelenkt zu
haben. Nach dem Tod von Julius Rosenthal war unverhofft Sally Moos Allein-Gesell-
schafter der Firma, der Sohn des zweiten Firmengründers Louis Moos, der 1908 gestorben
war. Sally Moos scheint kein wichtiges Ziel in einem Engagement in der von
den Rosenthals geführten Firma in Hechingen gesehen zu haben. Das Unternehmen
wurde binnen zwei Jahren abgewickelt. Zwar trat am 15. Dezember 1911 Julius Rosenthals
Witwe Gisela anstelle ihres Mannes als persönlich haftende Gesellschafterin in die
Firma ein, war aber nicht vertretungsberechtigt. Dann begann der Personalabbau. Zuletzt
erhielten 100 der ehemals 180 Arbeiter am 18. Oktober 1912 ihre Kündigung. Am
18. Dezember 1912 war die Gesellschaft aufgelöst. Auch Adolf Scheffels Auftrag in
Hechingen endete. Der Betriebsleiter meldete sich am 30. Januar 1913 Richtung Ebingen
ab. Den Rest übernahm der Kaufmann Jakob Litzinger, der neben Sally Moos Liquidator
wurde. Seniorchef Adolf Rosenthal war als Stellvertreter von Sally Moos bis zum 9.
Juni 1913 an der Abwicklung beteiligt, dann schied er endgültig aus. Kaufmann Aloys
Winter ersetzte Jakob Litzinger. Der neue Liquidator verkaufte das Gebäude im August
1916 an die Schuhfabrikanten Josef und Richard Wolf aus Stetten. Das Amtsgericht
schloss die Akte am 2. Oktober 1916236. Auch auf dem Papier war Moos & Rosenthal
Geschichte. Gegenwart war die Granatendreherei Wolf.
Verlierer des Kaiserreichs waren nicht nur die Arbeiter, deren Lohnsumme in dieser
Zeit immerhin um 100 Prozent stieg. Komptoirs- und Magazin-Angestellte verdienten nach
den Angaben von Jakob Levi 1884 in Hechingen durchschnittlich knapp 1200 Mark im
Jahr und nach den von der Centralstelle herangezogenen Berechnungen der Angestellten
-Versicherung 1913 reichsweit gute 1900 Mark. Damit hätte sich der Verdienst der
Angestellten in diesen 30 Jahren nur um knapp 60 Prozent verbessert. Der neue Mit-
236 Hz. Bl. Nr. 238/19.10.1912, 289/19.12.1912. Öffentlicher Anzeiger Nr. 21/26.05.1911,
51/22.12.1911, 52/27.12.1912, 24/14.06.1913, 40/07.10.1916 (frdl. Mitt. Otto Werner). Nicht nachvollziehen
lässt sich die Angabe, dass Moos & Rosenthal im Juni 1912 in Konkurs gegangen sei, in:
Chronik II (wie Anm. 27) S. 11 und Xaver Fischer: Handwerk, Handel und Gewerbe in Hechingen
(wie Anm. 4) S. 15, 16.
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