Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
45(130).2009
Seite: 206
(PDF, 60 MB)
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Rolf Vogt

Der Konkurs von Julius Runge senior und Heinrich Levy, der Griff von Friedrich
Klotz in Heinrich Levys Warenlager und der Diebstahl der Turner-Kasse machen deutlich
, dass sich die Sozialdemokraten im Kaiserreich aus einem gesellschaftlichen Sub-
milieu rekrutierten, das mit Existenzproblemen zu kämpfen hatte. Dass sie als Trinker
verschrien waren, kann nicht verwundern. Organisationsfähig wurde der Wunsch zur
Verbesserung der sozialen Lage aber erst nach der Jahrhundertwende. Danach entwickelten
die sozialdemokratischen Arbeiter sogar eigenefn] Klassengeist und Klasseninteresse,
wie ihnen selbst der unternehmerfreundliche Verleger Friedrich Wallishauser bescheinigte
.

Georg Pfeiff war mit der Vielfalt seiner Ämter der erste Funktionär der SPD. Dieser
Typus zeigt sich in Hechingen als Realpolitiker. Den Deal mit den Arbeitern aus Sontheim
scheint Pfeiff ebenso wie Adolf Rosenthal als Geschäft gesehen zu haben, das
beiden Seiten diente: Rosenthal konnte arbeiten lassen und die Schuhmacher-Gewerkschaft
in Sontheim streiken, ohne Ausfallgeld bezahlen zu müssen. Pfeiff soll das selbst
so gesagt haben. Die Fabrikkrankenkassenwahl von 1910 sieht auf der anderen Seite
danach aus, als hätte Adolf Rosenthal dem Gewerkschaftsboss aus seiner Firma einen
Gefallen tun und einen Posten verschaffen wollen. Eine Hand wäscht die andere. Bei
Schiele und der christlichen Gewerkschaft dürften die Dinge nicht viel anders gestanden
haben. Vielleicht findet sich darin ein Grund für den Ausgang des großen Streiks 1911.

Die frühe Gewerkschaftsgeschichte in Hechingen erhält auf diese Weise eine stark
ausgeprägte syndikalistische Seite. Im Mittelpunkt standen nicht hohe gesellschaftspolitische
Ideale, sondern die persönlichen Interessen der Mitglieder, die sie in der Gruppe
am besten gewahrt glaubten. Der Konsumverein ist fast schon Sinnbild. Er zeigt den
Willen, das Schicksal an der Armutsgrenze selbst zu meistern.

Die Sozialdemokraten waren nicht gern gesehen in Hechingen. Johann Bumiller warf
sie 1894 genauso aus seinem Gasthaus Traube wie die Museumsgesellschaft 1911 aus
ihrem Saal. Als Verfassungsfeinde standen sie unter polizeilicher Beobachtung. Im Rathaus
war Bürgermeister Anton Häußler ihr erklärter Gegner. Sein Umzugsverbot 1911
klingt unbegründet. Wie das Stiftungsfest zeigte, war mit der Absage der Abendveranstaltung
das Nachmittagsprogramm längst noch nicht hinfallig. Mit gutem Willen hätte
der Bürgermeister den Zug von einem Versammlungslokal zum anderen genehmigt.
Auch der Platzverweis für die Freien Turner in der Rathaushalle war eher willkürlich.
1911 legte Häußler sogar strengere Maßstäbe an als die Nachbarn in Württemberg, die
Sozialdemokraten turnen ließen, ohne nach ihrer politischen Anschauung zu fragen.
Auffällig ist auch, dass das Vereinsrecht, mit dem Häußler 1911 den Freien Turnern das
Leben schwer machte, 1905 bei den freien Schützen noch keine Rolle spielte. Sie durften
bedenkenlos sogar schießen. Damals war Konrad Mayer noch Bürgermeister.

Anders als die SPD und die freie Gewerkschaft hatte die katholische Arbeiterbewegung
keinen Verfolgungsdruck zu tragen. Sie erweckt den Eindruck, dem etablierten
Hechingen näher zu stehen als die - irrtümlich, wie die nächsten Jahre zeigen sollten -
unter Umsturzverdacht stehenden Sozialisten.

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