Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
45(130).2009
Seite: 313
(PDF, 60 MB)
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Neues Schrifttum

was mit dazu führte, dass sie zeitlebens eine „randständige" Existenz führte. Sie fügte
sich nicht in die vorgegebenen Konventionen, ob im Beruf, der Haushaltsführung oder
dem äußerlichen Erscheinungsbild. Nach dem Tode des Vaters im Jahr 1927 unter Vormundschaft
gestellt, lebte sie lange Jahre mit ihrer Mutter zusammen, auf eine Art, die
bei den „ordentlichen" Mitbürgern in Beuren oft Kopfschütteln hervorrief.

Das Besondere an Elsa Saile war nicht zuletzt ihr Beruf. Sie war Botin. Eine, wie
Stützle zeigt, für Frauen überaus seltene Tätigkeit, die zudem im 20. Jahrhundert eigentlich
zum reinen Anachronismus wurde. Elsa Saile jedenfalls war fast ihr gesamtes Leben
lang unterwegs: Von Beuren führten sie ihre Botengänge nach Mössingen, nach Hechingen
oder in noch weiter entfernte Orte. Sie trug reparaturbedürftige Gegenstände
aus dem abgelegenen Beuren zu den Handwerkern, den Rechenmachern und Schuhmachern
und brachte sie - oft spät in der Nacht - zusammen mit anderen Bedarfsgütern
den beschwerlichen und gefahrlichen Weg durch den Wald zurück in ihren Heimatort.

In vielen weiteren Bereichen ihres Lebens lässt sich dieser Anachronismus festmachen
: In ihrer katholisch geprägten, tief verwurzelten Religiosität, die für sie untrennbar
mit allen Facetten ihres Alltags verwoben war und die sich im Besitz von zahlreichen
Devotionalien ausdrückte, die die Zeichensprache des 19. Jahrhunderts transportierten.
Auch die Eigenart, allen Abfall aufzusammeln, was sie bei ihren Botengängen am Wegesrand
fand, wirkt befremdlich für heutige Menschen, die den Überfluss für selbstverständlich
nehmen. Anders Elsa Saile, die in ihrer Kindheit den Mangel kennen gelernt
hatte und die in jedem weggeworfenen Kassenzettel und jedem Kaugummipapier noch
einen Wert erkannte.

Elsa Saile löste bei den Menschen unterschiedliche Reaktionen aus: Ablehnung, Furcht,
Spott, Zuneigung und Hilfsbereitschaft. Sie war Gegenstand von bei der traditionellen
Hechinger Fastnacht dargebotenen Parodien und zahlreicher Anekdoten. Aber sie war
auch das Objekt männlicher Gewalt bis hin zu Vergewaltigungen. Ihre Zwangs Sterilisation
im Dritten Reich kann die Autorin zwar nicht definitiv belegen. Aber sie erscheint
plausibel und hat wohl die Bereitschaft von Männern, Elsa zum Ziel sexueller Übergriffe
zu machen, verstärkt. Ruth Stütze hat für die gedruckte Fassung ihrer Magisterarbeit
über Elsa Saile den methodischen Teil „der besseren Lesbarkeit Willen fast völlig weggelassen
" (S. 9). Das ist etwas bedauerlich. Aber sie nennt ihr wissenschaftliches Ziel:
Den „Versuch der Verlagerung von ,großen Geschichten' [...] hin zu denjenigen, die
bisher wenig Beachtung und Öffentlichkeit gefunden haben [...]" (S. 9). Dabei gilt dem
„Eigensinnige[n] eines Frauenlebens" das besondere Interesse der Autorin. Dieses für
Elsa Saile typische „Eigensinnige", das sich aus ihrer Randständigkeit, ihren persönlichen
charakterlichen und geistigen Gaben, ihrer besonderen Tätigkeit und ihrer Existenz als
dem buchstäblichen wandelnden Anachronismus ergeben, hat die Autorin einfühlsam
herausgearbeitet. Ihre Informationen bezieht sie zu großen Teilen aus Gesprächen mit
Elsa Saile selbst (wobei es die Eigenarten von Elsa Sailes Ausdrucksweise und der Gesprächsführung
, ihr Ignorieren unbequemer Fragen es schwer machten, die Bedeutung
ihrer Aussagen einzuordnen) und mit Menschen, die Elsa Saile kannten, ohne dass

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