http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2009/0319
Neues Schrifttum
tätigkeit für Beuron nach sich zog, nicht immer mit dem äußeren Wachstum Schritt.
Die Besiedlung von Grüssau in Schlesien, von Neresheim und Weingarten 1920 sowie
von Neuburg bei Heidelberg 1924/26 sind nur vier Beispiele aus jenen Jahren. Joachim
Köhler („Wiedergutmachung auf Grund der Aufarbeitung der Geschichte. Bausteine zur
Biographie des vierten Erzabtes von Beuron Raphael Walzer 1888—1966", S. 53-107)
wendet sich jenen Entwicklungen und Ereignissen zu, die seit dem Beginn der 1930er
Jahre vor dem sich radikalisierenden politischen Hintergrund letztlich zu seiner erzwungenen
Abdankung führten. Es war nicht nur die klare Gegenposition Walzers zum Nationalsozialismus
, die seine Handlungen prägten und ihn auch in Gegensatz zu manch
anderem Abt der Beuroner Kongregation brachten, sondern zugleich sind diese Jahre
geprägt von der grundsätzlichen kirchenrechtlich geführten Auseinandersetzung zwischen
dem Erzabt- und dem Präsessystem innerhalb der Beuroner Kongregation, sowie
persönlichen Gegensätzen innerhalb des zunehmend heterogenen und von Gruppenbildungen
geprägten auf über 300 Mitglieder (1935) angewachsenen Konvents. Durch
die Auswertung vor allem von den Berichten zweier Zeitzeugen bringt Köhlermehr Licht
in die eskalierenden Auseinandersetzungen jener Jahre, die für Walzer ein mehrjähriges
Leben als Staatenloser im Ausland nach sich zogen. Es mag den Historiker gleichwohl
irritieren, dass Köhler offensichtlich nur teilweise Zugang zu den nicht veröffentlichten
Annalen hatte (S. 61) - weitere Klärungen sind also offensichtlich durchaus möglich,
und Köhlerverweist abschließend deutlich auf die hier noch sinnvoll durchzuführenden
Recherchemöglichkeiten in einer ganzen Reihe von Archiven (S. 104). Sein Urteil über
Walzer ist gleichwohl eindeutig: Er erscheint als „menschliche Gestalt mit Licht- und
Schattenseiten, geachtet, verehrt, geliebt und gehasst, vor allem als Mensch, der Unrecht,
das ihm zugefügt wurde, geduldig ertragen hat" (ebd.).
Marvin Yuen beschäftigt sich anschließend mit einem Thema, das kirchenrechtlich in
Walzers Amtszeit immer wieder kontrovers diskutiert wurde und erst 1936 seine endgültige
Erledigung fand („Die Einführung des Abtpräsesmodels in der Beuroner Kongregation
im Jahre 1936", S. 109-140). Diese Diskussionen bzw. die Umsetzung
beleuchten von einer speziellen Perspektive her auch die prinzipiellen Auseinandersetzungen
innerhalb der Kongregation bzw. die Gegensätze zwischen einzelnen Äbten.
Der endgültigen Entscheidung für das Präsesmodell gingen nicht zuletzt auch heftige
Angriffe gegen Walzer voraus. Hinzu kamen als verschärfende Umstände seine keineswegs
von allen Äbten unterstützte prinzipielle Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus
sowie eine schwere Krise der Beuroner Gründung Neuburg, was ihm zusätzlich
einen Vertrauensverlust des Hl. Stuhls einbrachte (S. 116f). „Waffengleichheit" herrschte
am Ende, wie Yuen feststellt (S. 124) nicht mehr — mangels Unterstützung schien die
„Entmachtung" Walzers beschlossene Sache. Letztlich drängt sich der Eindruck einer
Absetzung Walzers aus vorvornehmlich persönlicher Ablehnung durch die Mitäbte auf,
ohne dass ihm ein konkretes Fehlverhalten nachgewiesen werden konnte. Die Umstellung
von dem durch Walzer favorisierten Erzabtmodell auf das Präsesmodell ist daher
zugleich auch als eine nicht sachliche Frontstellung gegen ihn zu bewerten (S. 128).
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