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Neues Schrifttum
Bleibt die Frage nach den Wurzeln dieser Vorstellungen und insbesondere nach den
Gemeinsamkeiten und Verbindungen zum Nationalsozialismus. Lanz schöpft seine
Ideen aus der irrational-völkischen Wiener Subkultur der ausgehenden Habsburger-Monarchie
mit ihren pseudowissenschaftlichen Rassenlehren, antifeministischen, antidemokratischen
und antisemitischen Strömungen. Als Ideengeber lassen sich insbesondere
der Schriftsteller Guido von List, der Verfasser germanophiler Literatur und Liebhaber
germanischer Runen, Georg Ritter von Schönerer, der Führer der Alldeutschen in Österreich
und erklärter Antisemit, sowie überraschenderweise schließlich auch Helena Pe-
trowna Blavatsky, die Begründerin der modernen Theosophie, identifizieren. „Hitlers
Wien" (Brigitte Hamann) ist zwar nicht sozial, wohl aber ideologisch auch das Wien
von Lanz: Der gescheiterte Maler und Männerheim-Bewohner und der erfolgreiche Publizist
und Ordensgründer schöpfen aus den gleichen Quellen, wie Paape treffend feststellt
(S. 42). In ihrem Frauenbild, der Idealisierung des Landlebens, den
rassenideologischen Weltdeutungen und insbesondere einem hasserfüllten, eliminato-
rischen Antisemitismus bestehen stupende Übereinstimmungen zwischen den publizistisch
verbreiteten Vorstellungen von Lanz und den in furchtbare Realität umgesetzten
Positionen Hitlers und des Nationalsozialismus. Hitler ist in seinen Wiener Jahren anscheinend
ein eifriger Leser der „Ostara"-Hefte und nimmt die dichotomische Rassenlehre
von Lanz in sein Denken mit auf.
Gleichwohl sind Lanz und sein Neutemplerorden keine bloßen Vorläufer und Ideengeber
von Hitler und den Nationalsozialisten. Von der brandgefährlichen politischen
Dynamik der Nazis ist bei Lanz' obskurer Sekte wenig zu spüren, vieles erscheint im
Weltbild der Neutempler einfach auch nur skurril und widersprüchlich, so etwa das unvermittelte
Nebeneinander der geschilderten rassistischen und frauenfeindlichen Haltungen
und der in den „Ostara"-Heften propagierte duldsame Umgang mit Homosexualität
und Abtreibung. Auch wenn sich ein formelles Verbot des Neutemplerordens
durch die NS-Instanzen nicht nachweisen lässt, erlöschen dessen Aktivitäten im Laufe
der 1930er Jahre, als der Rassenwahn nicht mehr nur publizistisch und in kryptischen
Zeremonien propagiert, sondern zur furchtbaren politischen Realität wird. Nur vergleichsweise
wenige frühere Neutempler machen dabei den Schritt von der Idee zur Tat
mit und finden sich in der Folge in Führungspositionen des NS-Staates. Lanz selbst
übersteht NS-Herrschaft und Besatzungszeit anscheinend unbehelligt bis zu seinem
Tod in Wien 1954. Ungeachtet dieser weitgehend fehlenden unmittelbaren politischen
Wirksamkeit muss es gleichwohl beunruhigen, wenn die Lanzschen Ideen und Schriften
aus dem irrlichternden Vor- und Umfeld des Nationalsozialismus in rechtsextremen
Kreisen offenbar bis heute fortleben.
Sigmaringen Edwin Ernst Weber
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