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Reinhold Adler
Aber es gibt noch die Akten der UNRRA selbst. Sie befinden sich im UN Archiv es
and Records Management Center (UNARMC) in New York. Dort liegt ein umfangreicher
Bestand über das UNRRA-Team 585 Saulgau. Ausgewertet wurden nur die
französischsprachigen Berichte des damaligen Saulgauer UNRRA-Team-Chefs Hay-
dar und seines Stellvertreters Lageix an das „Bureau of Reports and Statistics" des
UNRRA-Hauptquartiers der französischen Besatzungszone in Haslach im Kinzigtal.
Es handelt sich meist um wöchentliche Berichte über die Tätigkeit der örtlichen
UNRRA-Dienste. Berichte an eine vorgesetzte Kontrollinstanz lassen gewiss nicht allzu
tiefe Einblicke in die Wirklichkeit des Besatzungsalltags zu. Dennoch ist es nicht
ohne Reiz, diese Zeit einmal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, nämlich aus
dem von UNRRA-Bediensteten, die gewissermaßen Bindeglied zwischen den Vertretern
der französischen Siegermacht und den DPs bildeten. Diese Wochenberichte gestatten
einen Überblick über die rund einjährige Tätigkeit der UNRRA in der Gegend
um Saulgau und Sigmaringen in den Jahren 1946/47.
BEFREITE „FREMDARBEITER" UND KZ-HÄFTLINGE
IM RAUM SAULGAU
Das Kriegsende kam im Raum Saulgau im April 1945. Teile der 1. Französischen Armee
erreichten auf ihrem Vormarsch in Süddeutschland am 22. April Saulgau. Eine der
größten Herausforderungen für die nachfolgenden Besatzungstruppen dürfte die große
Anzahl so genannter „Fremdarbeiter", d.h. der ausländischen Arbeitskräfte, in dieser
überwiegend landwirtschaftlich geprägten Gegend gewesen sein. Zu diesen kamen
außerdem noch tausende KZ-Häftlinge, die von den vorrückenden Franzosen befreit
worden waren. Aufgrund eines „Evakuierungsbefehls" waren nämlich die im Südwesten
Deutschlands liegenden Konzentrationslager zwischen dem 16. und 20. April 1945
verlegt und ihre Insassen auf berüchtigte „Todesmärsche" durch Oberschwaben und
Bayern geführt worden. Dazu gehörten vor allem die im Bereich Spaichingen und Balingen
angesiedelten Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof, das schon im September
1944 aus dem Elsass verlegt worden war. Seit Anfang April 1945 waren Angehörige des
Kommandanturstabes dieses Konzentrationslagers in der alten Schule von Dürmen-
tingen einquartiert, bevor sie sich am Abend des 21. April in Richtung „Alpenfestung"
absetzten.3
Der 1924 in Plonsk/Polen geborene Irving Wassermann erinnerte sich, wie man den
Häftlingen im KZ Dautmergen eines Tages einen ganzen Laib Brot aushändigte, was
vorher niemals vorgekommen war, und ihnen die Verlegung in ein anderes Lager ankündigte
. Etwa 300 Häftlinge marschierten los, allerdings nur nachts, da tagsüber Luftgefahr
herrschte. Am Tag übernachtete die Gruppe erschöpft in Scheunen auf Bauernhöfen
. Weder wussten die Häftlinge, wohin es gehen sollte, noch wo sie waren.
Unterwegs hatten die Wachen immer wieder erschöpfte Häftlinge erschossen. Es war
der 22. April 1945, als die Häftlinge beim Aufwachen bemerkten, dass keine Wachen
3 Hans Willbold: Das Kriegsende 1945 im nördlichen Oberschwaben. Bad Buchau 1995, S. 212 f.
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