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Die UNRRA in Saulgau und Sigmaringen und Umgebung 1946/47
so, man fühlt sich doch unter seinesgleichen. Interessant war übrigens, dass die einzelnen
Gebetsabschnitte von Leuten vorgetragen wurden, die verschiedene Nationalitäten
haben, z. B. Polen, Rumänen, Litauer, Jugoslawen oder Letten. Letztere haben genau
die gleiche Aussprache des Hebräischen wie wir. Ergreifend waren die Totengebete,
denn nicht einer war dabei, welcher nicht eine größere Anzahl Allernächster zu beklagen
hatte und kam einem dabei so recht wieder zum Bewusstsein, welches Unglück
durch diese Nazischurken in die Welt gesetzt wurde. Nach den Gottesdiensten hatten
wir Dank der UNRRA und des JOINT ganz vorzügliches Essen, sowohl mittags als
auch abends.115
Noch im Herbst 1947 besuchte Siegbert Einstein die jüdischen Feierlichkeiten in
Saulgau, an denen dieses Mal auch die leitenden Herren der Juden der südfranzfösi-
schen] Zone mit Sitz in Konstanz anwesend waren.116
Kulturelle Veranstaltungen
Die ,Fährec in Bad Saulgau ist als Ausstellungsraum für moderne Kunst in der Region
ein Begriff und verdankt ihre Entstehung im September 1947 der Initiative des französischen
Militärgouverneurs, der nach dem Vorbild anderer Städte in der südlichen französischen
Besatzungszone ein Informationszentrum für die deutsche Bevölkerung
schaffen wollte, in der diese mit der Kultur anderer Völker vertraut gemacht werden
sollte.117
Auf Initiative der UNRRA gab es jedoch schon vorher eine Kunst- und Kunstgewerbeausstellung
in Saulgau, die ein überregionales Echo erfuhr. Dazu wurden bereits im
Januar 1947 erste Vorbereitungen getroffen. Der lettische Künstler und Graphiker Sigurds
Kalnins wurde mit der Organisation dieser Ausstellung beauftragt. Kalnins, 1918
in Riga geboren, hatte die lettische Kunstakademie besucht. Unter welchen Umständen
er in die französische Besatzungszone verschlagen wurde, ist unbekannt. Als Displaced
Person in Saulgau entwickelte er aber seinen eigenen künstlerischen Stil. 1949 wanderte
er nach Australien aus, wo er aber viel zu früh bereits 1956 starb.118
Einen Ausstellungsraum stellte die Militärregierung zur Verfügung. General Len-
clud wurde gebeten, die Schirmherrschaft zu übernehmen und interessierte Personen
aus der ganzen französischen Besatzungszone einzuladen. Mindestens 40 Ehrengäste
wurden zu diesen Tagen der Kunst in Saulgau erwartet. Am 15. März 1947 wurde die
Ausstellung eröffnet, die bis zum 30. März dauerte und bei der Gemälde, Skulpturen,
115 Mitteilung von Charlotte Mayenberger, Bad Buchau, vom 5.3.2013 laut Briefen von Siegbert Einstein
an Moritz Vierfelder.
116 Charlotte Mayenberger, Buchauer Nachrichten vom November 1947, in: http://www.judenin
buchau.de/Blattle_mit_Deckblatt_Dez-12doc.pdf (Zugriff 26.11.2013).
117 Norbert Schick: Rückblick und Ausblick. In: Bruno Effinger (Red.): 40 Jahre Städtische Galerie
„Die Fähre" Saulgau 1947-1987. Hg. vom Bürgerausschuss Saulgau. Saulgau 1987 (Saulgauer Hefte 8/9),
S. 5-8. - Andreas Ruess: Die Anfangsjahre - Aufbau mit Hindernissen. In: 50 Jahre „Fähre" in Saulgau
1947-1997. Positionen. Hg. vom Kulturamt der Stadt Saulgau. Saulgau 1997, S. 13-19.
118 Mitteilung von Gunta Jaunmuktane, Misins Bibliothek, Universität von Lettland, vom 19.7.2013.
Dort wird eine von der Witwe des Künstlers verfasste Biografle aufbewahrt. - UNARMC S-0418-0003-10
(Zertifikat für den Künstler von B. J. Haydar vom 1.2.1947).
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