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Der Freudenstädter Taufstein und das Bietenhausener Tympanon
5 Freudenstadt, ev. Stadtkirche, Taufstein: Detail der Inschrift mit INFVSV(M) (Bildrechte wie bei
Abb. 1).
tracht, da die bezeichnete Schriftart ab dem 13. Jahrhundert von der Gotischen Majuskel
zunehmend verdrängt wird. Auf jeden Fall aber ist davon auszugehen, dass die Inschrift
bereits zur ursprünglichen Konzeption des Taufsteins gehörte und somit in unmittelbarer
Beziehung zu den Bildreliefs steht. Aus dieser Schlussfolgerung lässt sich
zunächst ableiten, dass der Hirsch nicht in dem Moment abgebildet ist, in dem er eine
Schlange frisst, sondern in dem er sie wieder von sich gibt (EVOMIT).18 Dafür spricht
außerdem die Beobachtung, dass in mittelalterlichen Darstellungen diejenigen Tiere,
die gefressen werden, in der Regel mit dem Kopf voran im Rachen ihres Vertilgers verschwinden
.19 Hier steckt indessen nur noch der Schwanz der Schlange im Maul des
Hirsches. Auch theologisch ist der abgebildete Vorgang nur in dieser Richtung denkbar
, da doch die Taufe den Menschen von seiner Sündhaftigkeit, die ihm von der
Schlange im Paradies aufgebürdet wurde, befreien, ihm diese aber nicht nochmals einverleiben
soll. Die metaphorische Gleichsetzung von Täufling und Hirsch orientiert
sich dabei an einer Überlieferung im Physiologus, wonach der Hirsch die Schlangen
hartnäckig verfolge, mit seinem Atem sogar aus ihren Erdhöhlen hervortreibe und daraufhin
zunächst verschlinge. Sobald aber ihr Gift in seinem Leib zu wirken beginne,
laufe er von Furcht getrieben zu einer reinen Quelle, um zu trinken und dadurch die
Schlange mitsamt ihren lebensbedrohlichen Säften wieder von sich zu geben. Dadurch
werde er vom Tode errettet und erfahre zugleich eine vollständige Verwandlung, indem
sich sein Fell verändere und er sein Geweih abwerfe.20 Die Metaphorik zwischen dem
18 Vgl. dagegen Budde, Skulptur (wie Anm. 2), S. 35 Kat.-Nr. 42. - Keppler, Bildwerk (wie Anm. 2), S. 5.
- OAB Freudenstadt (wie Anm. 2), S. 141.
19 Vgl. Lurker, Tauf stein (wie Anm. 2), S. 96 f.
20 Vgl. Theobaldi „Physiologus". Edited with introduction, critical apparatus, translation and commen-
tary by Peter T. Eden. Leiden 1972 (Mittellateinische Studien und Texte VI), S. 48-51, hier insbesondere
die Uberlieferung nach dem Göttweiger Codex S. 48 (Anm. zu Versen 1-8). - Siehe dazu auch Gustav
Heider: Physiologus. Nach einer Handschrift des XI. Jahrhunderts. In: Archiv für Kunde österreichischer
Geschichts-Quellen 5 (1850), S. 541-582, hier S. 568 f. - Zur Geschichte dieses Motivs vgl. Blankenburg,
Heilige und dämonische Tiere (wie Anm. 2), S. 246-249. - Herbert Kolb: Der Hirsch, der Schlangen frißt.
Bemerkungen zum Verhältnis von Naturkunde und Theologie in der mittelalterlichen Literatur. In: Ursula
Hennig und Herbert Kolb (Hgg.): Mediasvalia litteraria. Festschrift für Helmut de Boor zum
80. Geburtstag. München 1971, S. 583-610. - Richard Ettinghausen: The „snake-eating stag" in the
East. In: Late classical and mediaeval studies in honor of Albert Mathias Friend, jr. Edited by Kurt Weitz-
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