Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
51/52(136/137).2015/16
Seite: 18
(PDF, 88 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2015-16/0026
Jan Ilas Bartusch

für den ergänzten Abschnitt keinerlei Textvarianten überliefert sind, ist davon auszugehen
, dass er eine oben formulierte Behauptung begründet. Demnach dürfte es sich
bei dem gereimten Vers um eine Aussage handeln und weniger um die Textsorten einer
Handlungsaufforderung oder Bildbeschreibung, die sich auf mittelalterlichen Tympa-
na ebenfalls finden.54 Folglich kommen hier denkbare Versanfänge wie HIC SVNT
oder INTRENT aus logischen Gründen kaum in Betracht. Für eine einfach formulierte
Aussage wird man vielmehr eine Form von esse annehmen dürfen, doch lässt sich der
Hexameter damit noch nicht vollständig ergänzen. Transformiert man deshalb die Behauptung
in die Frage: Wer ist als Mann ein Sünder und als Frau eine Gespielin des Todes
, so ergibt sich als metrisch passende Antwort nur HOMO - der Mensch. In der Tat
ist sowohl die Junktur homo peccator55 als auch der Hexameteranfang EST HOMO56
vielfach belegt, darunter auch in der Formulierung Est homo peccator [.. .].57 Folglich
wird man die Lücke auf dem Bietenhausener Tympanon - eingedenk verschiedener
Kürzungsmöglichkeiten - wie folgt ergänzen dürfen:

[EST• HOMO -JPECCATOR • VIR • FEMINA • MORTIS • AMATOR
Ubers.: Der Mensch ist als Mann ein Sünder und als Frau eine Gespielin des Todes.

Nach obigen Ausführungen verwundert es nicht, dass diese Textaussage von der Bildmetapher
zweier Hunde begleitet und unterstützt wird. Dabei berücksichtigt die Parallelität
zwischen sprachlicher und visueller Botschaft auch die differenzierende Gewichtung
des Vorwurfs der Sündhaftigkeit: Denn während der Mann zwar als Sünder
bezeichnet wird, wiegt doch die Missbilligung der Frau, wie sie in der Junktur MORTIS
AMATOR formuliert wird, ungleich stärker. Die durchaus wertende Wortwahl erklärt
, warum sich der Verfasser im zweiten Hexameter veranlasst fühlte, den Mann vor
der Arglist des Weibes zu warnen. Dementsprechend ist auch der Hund in der linken
Bildhälfte unter den Begriffen PECCATOR VIR etwas kleiner ausgeführt als jener im
gegenüberliegenden Feld unter dem Textteil FEMINA MORTIS AMATOR. Diese
Aussage entspricht einer traditionell monastischen Frauenfeindlichkeit, wie sie sich vor
allem zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert in einer Blüte misogyner Dichtungen niedergeschlagen
hat.58 Im Zusammenhang damit bedürfen die inhaltlichen Beziehungen
zwischen den beiden Versen des Bietenhausener Tympanons aber noch einer näheren

54 Vgl. Kalbaum, Romanische Türstürze (wie Anm. 2), S. 196 (Bad Herrenalb, Westportal), 293 (Hildrizhausen
), 331 (Murrhardt), 261 f. (Petershausen).

55 Vgl. hier lediglich die biblischen Belege: Eccl 11,34; Eccl 32,21; Lc 19,7; Lc 24,7 u.a. m.

56 Vgl. Walther, Proverbia (wie Anm. 53), S. 943-945 Nr. 7482b-7491.

57 Vgl. Matthias Fischer: Versus de sanctis Barlaam et Josaphat. Die anonyme Versiflkation der Bar-
laam- und Josaphatlegende (12. Jhd.) in der Handschrift Besancon BM94. Bern 2003 (Lateinische Sprache
und Literatur des Mittelalters 37), S. 85 Vers 1055: At mors demonstrat, quod res vilissima rerum/Est homo
peccator, qui mundi ludicra captat I [...]. Ubersetzung: Aber der Tod beweist, dass das Geringste unter
den Dingen der sündige Mensch ist, der nach den Trugbildern der Welt hascht [...].

58 Zur Tradition misogyner Dichtung vgl. Paul Gerhard Schmidt: Die misogyne Tradition von der Antike
bis ins Frühmittelalter. In: Comportamenti e immaginario della sessualitä nell'alto medioevo. 31 mar-
zo - 5 aprile 2005. Spoleto 2006 (Settimane di Studio della Fondazione Centro Italiano di Studi sull'Alto
Medioevo 53), S. 419-434, hier S. 420 f. - Merce Puig Rodri'guez-Escalona: Poesia misögina en la Edad
Media latina (ss. XI-XIII). Barcelona 1995 (Aurea saecula 12).

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