http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2015-16/0188
Rolf Vogt
Die Mobilmachungsbefehle trafen am späten Samstagnachmittag ein. Bürgermeister
Anton Häußler in Hechingen verlas sie gegen 18 Uhr auf der Treppe des Rathauses. Sie
wurden mit Trommelschlag auf Straßen und Plätzen verkündet. In mehreren Dörfern
sollen die Kirchenglocken die Menschen zusammengerufen haben, als die Befehle eintrafen
.29 Der Hechinger katholische Stadtpfarrer Dr. Konstantin Holl verglich
Deutschlands Lage in seiner Predigt am Sonntag in der Stiftskirche mit den Kämpfen
des Volkes Israel, und Bernhard Fehrecke, Redakteur und Geschäftsführer der katholischen
Zeitung Zoller, nutzte die Gelegenheit, um in einer Rede auf dem Kirchplatz
vor hunderten Gottesdienstbesuchern Russland als Verbrecher anzuklagen. Die Menge
- so heißt es - stimmte freudigst in seine Hochrufe auf das deutsche Vaterland ein.
Reservisten und Landwehrmänner mussten in die Kasernen einrücken. Der Vieruhr-
und der Fünfuhr-Zug auf der württembergischen Staatseisenbahn war am 2. August
voll mit ihnen. Eine tausendköpfige Menge stand in Hechingen auf den Bahnsteigen,
um sie zu verabschieden. Zeitungsverleger Friedrich Wallishauser ergriff zweimal das
Wort und sprach in pathetischen Reden von Schicksal und Pflichterfüllung in dem
Deutschland aufgedrungenen Kampf. Er schimpfte über die russische Hinterlist. Die
Menge antwortete mit nicht endenwollenden stürmischen Hochrufen auf unsern Kaiser
und sang patriotische Lieder mit nie erlebter Begeisterung. So sah jedenfalls Viktor
Buck den Auflauf im Bahnhof. Seine Beschreibung stand am Montag in der Wallishau-
ser-Zeitung.
Ahnlich lief es überall in Hohenzollern. In Sigmaringen läuteten am Abend des
1. August die Glocken, und die Schüler des Gymnasiums zogen in einer spontanen Demonstration
singend vor das Denkmal Kaiser Wilhelms I., wo der Primaner Johann
Heberle aus Harthausen eine flammende Rede hielt. Die Herzen erzitterten und jedes
Auge wurde feucht, beschrieb die Hohenzollerische Volkszeitung die Reaktion der
Menschen auf den Straßen.30 Der Sigmaringer Bahnhof wurde wochenlang Transitstation
der Truppentransporte von und zum Heuberg. In den ersten Tagen der Mobilmachung
fuhren meist Truppenzüge in Civil Richtung Heuberg, danach rollten feldmarschmäßig
ausgerüstete Truppen [...] aller Waffengattungen in fast endlosen Wagenreihen
mehrmals des Nachmittags und Abends in Richtung Front. Auch bayerische Einheiten
machten Station in Sigmaringen. Fürst Wilhelm und die Prinzessinnen Josefine, Stephanie
und Marie Antoinette hätten den Soldaten auf dem Bahnhof eigenhändig Erquickungen
gereicht und Zigarren und Schokolade verteilt, wird berichtet.31 Auch die Bevölkerung
war zu Spenden aufgerufen, der Vaterländische Frauenverein übernahm die
29 Hohenzollerische Blätter Sonderblatt Nr. 19 vom 2.8.1914, Nr. 174 vom 3.8.1914.- Zoller Nr. 174 vom
3.8.1914. - Amtsblatt der Königlich Preußischen Regierung zu Sigmaringen, Sonderausgabe vom 2.8.1914,
S. 141-144. - Vgl. Reiser, Chronik der Stadt Hechingen, Bd. 2 (wie Anm. 26), S. 15-17.
30 Hohenzollerische Volkszeitung Nr. 175 vom 3.8.1914. — Alex Frick: Erinnerungen aus der „guten alten
Zeit". In: Festschrift zur Einweihung des Hohenzollern-Gymnasiums Sigmaringen 3. Oktober 1975.
Sigmaringen o. J. [1975], S. 32-35, hier S. 34. - Johann Heberle meldete sich als Kriegsfreiwilliger. Er fiel am
31. Oktober 1914, siehe Hohenzollerisches Gedenkbuch (wie Anm. 8), S. 51.
31 Hohenzollerische Volkszeitung Nr. 183 vom 12.8.1914, Nr. 184 vom 13.8.1914. - Hohenzollerische
Blätter Nr. 184 vom 14.8.1914. - Josefine war die Ehefrau von Fürst Wilhelms Bruder Karl. Sie hatten die
Töchter Stephanie und Marie Antoinette.
180
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2015-16/0188