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Rolf Vogt
Die Mobilmachung wurde zur modernen Massenerhebung verklärt, die Stadt Hechingen
opferte ihren Stadtbus. Sie stellte die 1912 eingerichtete Nahverkehrslinie zwischen
Bahnhof und Obertorplatz und im Sommer hinauf zur Burg Hohenzollern im
August 1914 ein und den Bus dem Heer unaufgefordert zur Verfügung. Er kam zwar
nach ein paar Tagen wieder zurück, wurde kurz darauf aber doch und endgültig requiriert
.34
Haigerloch und Gammertingen büßten ihre Oberamtmänner ein. Alfred Gros-
pietsch aus Haigerloch rückte am 21. August 1914 als Oberleutnant der Reserve zum
Heer ein und wurde 1916 Vertreter des Polizeipräsidenten in Magdeburg. Oberamtmann
Carl Kloubert in Gammertingen tat es ihm gleich. Er kam 1916 geistig erkrankt
aus dem Krieg zurück und ging 1917 als Regierungsrat nach Düsseldorf. Ihre Stellen
blieben unbesetzt. Die Haigerlocher Geschäfte führte seitdem der Oberamtmann in
Hechingen, im November 1916 wurde das Oberamt ganz nach Hechingen verlegt. Seitdem
bildeten beide Oberämter den Oberamtsbezirk Hechingen/Haigerloch und ihre
Amtsverbände einen gemeinsamen Kommunalverband. Die Gammertinger Geschäfte
führte anstelle von Kloubert Oberamtssekretär August Hegemann. An dieser Konstellation
änderte sich nichts bis zur preußischen Kreisreform 1925, als beide Oberämter
ganz aufgehoben wurden.35
Stimmen, die Distanz zu den Ereignissen und Skepsis erkennen lassen, sind zu Beginn
des Krieges äußerst rar. Die einzige bekannte gehört dem Architekten Xaver Hen-
selmann aus Laiz, der bei Kriegsausbruch in Stuttgart lebte und im Juni 1918 fiel. Er
schrieb seinen Eltern am 1. August 1914 vom verhängnisvoll ungewisse[n] Dunkel, das
vor ihm liege. In der überwältigenden Mehrheit stürmte Hohenzollern dem Krieg unbeirrt
entgegen.36
Die Realität ging anders, Hysterie griff um sich. Vor den Geschäften bildeten sich in
den ersten Kriegstagen Schlangen von Käufern, die Vorräte anlegen wollten, die Preise
zogen an. Aufsehen erregte in Hechingen das Gerücht von einem Menschenauflauf vor
dem Hotel Rad, dem ersten Haus am Platze, wo eine Frau in Verdacht geraten sein sollte
, Russe in Damenkleidern zu sein. Der Englische Hof in der Herrenackerstraße fand
34 Hohenzollerische Blätter Nr. 179 vom 8.8.1914, Nr. 180 vom 10.8.1914, Nr. 193 vom 26.8.1914. - Vgl.
Reiser, Chronik der Stadt Hechingen, Bd. 2 (wie Anm. 26), S. 16. - Sigmaringen musste das Königliche
Meldeamt abgeben, siehe Zoller Nr. 177 vom 6.8.1914. - Hohenzollerische Volkszeitung Nr. 185 vom
14.8.1914. - Hohenzollerische Blätter Nr. 186 vom 18.8.1914, Nr. 204 vom 8.9.1914.
35 Zu den Verwaltungsreformen vgl. Andreas Zekorn: Oberamtmänner und Landräte im Gebiet des
heutigen Zollernalbkreises 1806-1992. In: Zollernalb-Proflle. 20 Jahre Zollernalbkreis - Ein Geburtstag.
1973-1993. Hg. vom Zollernalbkreis. Balingen 1993 (Jahrbuch des Kreises 3), S. 27-69, hier S. 48, 61. - Bio-
graflen der Oberamtmänner dort und in: Wolfram Angerbauer (Red.): Die Amtsvorsteher der Oberämter
, Bezirksämter und Landratsämter in Baden-Württemberg 1810 bis 1972. Hg von der Arbeitsgemeinschaft
der Kreisarchive beim Landkreistag Baden-Württemberg. Stuttgart 1996.
36 Zu Xaver Henselmann (1881-1918) vgl. Adalbert Kienle: Der Frontalltag in Zeichnungen und Aquarellen
von Xaver Henselmann. In: Grüße von der Front (wie Anm. 13), S. 92-120, hier S. 96. - Kuhn, Als
der Krieg vor der Haustür stand (wie Anm. 7), S. 24, 31, 127-136 schreibt die Kriegseuphorie in seinem
Bemühen, die Augustereignisse zu marginalisieren, ausschließlich dem „nationalkonservative[n] Bürgertum
der deutschen Großstädte" und der „Stimmung in Berlin" zu. Er billigt Kirchen, Zentrum und SPD
Distanz zum Krieg zu. Für Hohenzollern lässt sich dieser Beweis nicht führen.
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