http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2015-16/0197
Hungerjahre und Kriegsgewinne
Der Krieg war nicht weit weg, er war in Hohenzollern sogar zu hören, anscheinend
abhängig von der Wetterlage. Die Hechinger Zeitungen registrierten das Grollen Ende
August 1914 zum ersten Mal und danach immer wieder. Das ferne Rollen höre sich an
wie ein Summen und Brummen eines weit entfernten Gewitters, hieß es 1916 aus Sigmaringen
. Die letztverflossenen Tage war der Kanonendonner von der Westfront hier
wieder sehr deutlich zu hören, stand 1918 in den Hohenzollerischen Blättern. Kanonendonner
von den obern Vogesen, wussten sie einige Tage später. Von der Westfront
her hörte man heute nacht in den Behausungen hier andauernden schweren Kanonendonner
, hieß es kurz danach.55 Der Bombenhagel muss infernalisch gewesen sein, wenn
man ihn in Hechingen und Sigmaringen hören konnte. Die Vogesenfront lag mindestens
150 Kilometer entfernt.
Bemerkbar machte sich auch eine neue Form der Kriegführung. Schon im August
1914 wurden in Sigmaringen und Gammertingen feindliche Flugzeuge und Zeppeline
gesichtet, die vermutlich Mobilmachung und Truppenaufmarsch beobachten sollten.56
Französische und britische Luftschiffe kamen während des Krieges bis nach Stuttgart
und Friedrichshafen und in schöner Regelmäßigkeit einmal jährlich zu den Rüstungsbetrieben
in Oberndorf. Auch Tübingen war Ziel der feindlichen Luftflotte. Das Stellvertretende
Generalkommando des württembergischen XIII. Armeekorps errichtete
zum Schutz des Stuttgarter Raums eine Doppelkette von Flugnebenwachen auf den
Höhen des Schwarzwalds und 1916 eine zweite Kette mit fünf Beobachtungstürmen
zwischen Flacht und der Burg Hohenzollern. Die Nebenwache auf dem Zoller - ein
Unteroffizier, ein Gefreiter und fünf Soldaten - nahm im September 1916 ihre Tätigkeit
auf. Um Alarm auslösen zu können, stand ihr ein Fernsprechanschluss mit Nachtverbindung
nach Stuttgart und Horb zur Verfügung.57 Schon 1915 wurden Alarmzeichen
vereinbart, die vor Fliegerangriffen warnten. Bei Gefahr sollten in Hechingen die große
Glocke der Stiftskirche und die Glocke am Unteren Turm läuten und die Brauerei
St. Luzen ihre Sirene in Gang setzen. Das Publikum hat sofort die Straße zu verlassen
und sich in die unteren Räume der Häuser, am besten in die Keller, zu begeben, ordnete
der Hechinger Bürgermeister an.58 Seit September 1917 mussten in Hechingen auf
Anordnung des Oberamts die Vorhänge in den Fenstern ausgetauscht und die Häuser
nachts abgedunkelt werden, die Straßenlaternen wurden zuerst mit Abblendungsvor-
richtungen versehen und bald darauf ganz gelöscht.59 Mit öffentlichen Bekanntma-
55 Hohenzollerische Blätter Nr. 192 vom 25.8.1914, Nr. 244 vom 23.10.1916, Nr. 246 vom 25.10.1916,
Nr.18 vom 22.1.1918, Nr. 23 vom 28.1.1918, Nr. 41 vom 18.2.1918, Nr. 54 vom 5.3.1918 u.a. - Vgl. Reiser
, Chronik der Stadt Hechingen, Bd. 2 (wie Anm. 26), S. 18.
56 Hohenzollerische Volkszeitung Nr. 177 vom 5.8.1914, Nr. 178 vom 6.8.1914, Nr. 179 vom 7.8.1914.
57 Günter Cordes (Bearb.): Krieg, Revolution, Republik. Die Jahre 1918 bis 1920 in Baden und Württemberg
. Eine Dokumentation. Ulm 1978, S. 20. - HStAS M77/1 (Stellvertretendes Generalkommando
XIII. Armeekorps) BÜ619: Flugmeldedienst im Heimatgebiet (1916-1917). - Vgl. Zoller Nr. 227 vom
5.10.1917. - Kuhn, Als der Krieg vor der Haustür stand (wie Anm. 7), S. 93-99. - Ein deutsches Flugzeug
musste am 27.6.1918 bei Wessingen notlanden, siehe Hohenzollerische Blätter Nr. 148 vom 28.6.1918.
58 Hohenzollerische Blätter Nr.221 vom 24.9.1915. - Zoller Nr.221 vom 24.9.1915. - Pfarrarchiv Hechingen
, Vol. 298: Beziehungen zwischen Kirche und Staat (1915-1943).
59 Hohenzollerische Blätter Nr. 142 vom 25.6.1917, Nr.206 vom 11.9.1917, Nr.239 vom 19.10.1917. -
Vgl. Reiser, Chronik der Stadt Hechingen, Bd. 2 (wie Anm. 26), S. 24. - Die Verdunkelung wurde nach
189
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2015-16/0197