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Hungerjahre und Kriegsgewinne
4. KRIEG IN DER HEIMAT
Der Erste Weltkrieg brachte Hohenzollern und dem Deutschen Reich Jahre der Not.
Die Menschen hungerten und froren.
Die Geschichtswissenschaft bescheinigt heute allen Kriegsmächten das Fehlen von
Konzepten für einen langen Krieg und die Neustrukturierung der Zivilgesellschaft in
dieser Zeit. Das Deutsche Reich gab sich 1914 der Illusion hin, den Zweifrontenkrieg
mit einem - heute sogenannten - Erstschlag gegen Frankreich verhindern und den
schnellen Sieg erringen zu können. Weihnachten wollte man wieder zuhause sein. Die
Hoffnungen zerschlugen sich schon nach wenigen Wochen.
Der Weg in die Kriegswirtschaft musste ad hoc gesucht werden. Eine Zeitlang ging
alles gut. Die Textilfabriken und die Schuhindustrie in Hechingen, die während der
Mobilmachung dicht gemacht hatten, nahmen Ende August 1914 die Arbeit wieder auf.
Sie zogen aus eigener Initiative oder mit Vermittlung der Regierung in Sigmaringen Militäraufträge
an Land und meldeten im ersten Kriegswinter Vollbeschäftigung. Vielfach
waren Zwischenhändler die Auftraggeber. In manchen Betrieben wurde aber nur noch
an vier Tagen in der Woche oder mit verminderter Stundenzahl gearbeitet.69 Regie-
rungs- und Baurat Hilmar Froebel, zuständig für die Gewerbeaufsicht in Hohenzollern
, fand die Situation zufriedenstellend, als er im November 1914 dem Regierungspräsidenten
über die Einwirkungen des Kriegs auf das Wirtschaftsleben berichtete.
Nothleidend seien lediglich 15 Prozent der Betriebe mit neun Prozent der Arbeiter,
schrieb er.70 Schwierig war die Situation besonders in kleineren Handwerks- und
Dienstleistungsbetrieben, die schließen mussten, wenn ihre Inhaber zum Heer eingezogen
wurden.
In der Landwirtschaft ersetzten in der Ernte 1914 Schüler die jungen Männer, die
zur Front eilten, und die älteren, die in den Ersatzeinheiten Verwendung fanden. Die
Zentralstelle des Vereins zur Beförderung der Landwirthschaft und der Gewerbe rief
im Sigmaringer Raum mit mehrmaliger Zeitungsanzeige zur Bildung freiwilliger Erntekolonnen
auf, das Bürgermeisteramt Sigmaringen schloss sich mit eigenem Aufruf an.
Die Appelle waren nach Angaben der Hohenzollerischen Volkszeitung erfolgreich.
Gleich am ersten Tag hätten sich die ersten Freiwilligen gemeldet. Auch die Schüler der
Unteroffiziersvorschule würden herangezogen, meldete sie.71 In Hechingen richtete die
Stadtverwaltung eine Arbeiternach weisstelle im Rathaus ein und rief ebenfalls mit Zeitungsanzeige
alle Arbeitswilligen und Arbeitslosen zur Übernahme von Erntearbeiten
auf.72 Der Landtagsabgeordnete Hermann Eger aus Weildorf meldete sich mit einem
69 StAS Ho 235 (Preußische Regierung Sigmaringen) T13-15 Nr. 734: Vermischtes, volkswirtschaftliche
und andere Maßnahmen infolge der Weltkriege (1913-1915). - Hohenzollerische Blätter Nr. 193 vom
26.8.1914, Nr. 218 vom 24.9.1914, Nr. 234 vom 13.10.1914, Nr. 253 vom 4.11.1914.
70 StAS Ho 235 (Preußische Regierung Sigmaringen) T3 Nr. 70: Immediat-Zeitungsberichte, Allgemeines
(1867-1918). - Auszug in: Schöntag, Vom Bauern zum Gewerbetreibenden (wie Anm. 15), S. 101 —
104, hier S. 103.
71 Hohenzollerische Volkszeitung Nr. 175 vom 3.8.1914, Nr. 176 vom 4.8.1914, Nr. 177 vom 5.8.1914,
Nr. 179 vom 7.8.1914, Nr. 180 vom 8.8.1914.
72 Hohenzollerische Blätter Nr. 178 vom 7.8.1914. - Zoller Nr. 178 vom 7.8.1914.
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