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Rolf Vogt
Aufruf zur Bildung von Erntearbeiterkolonnen
in der gegenwärtigen aufgeregten
Zeit gleichfalls zu Wort.73
Seit dem Frühjahr 1915 wurden Kriegsgefangene
in der Landwirtschaft eingesetzt
. Welches Ausmaß der Einsatz von
Kriegsgefangenen im Ersten Weltkrieg in
Hohenzollern erreicht hat, ist heute
schwer zu bewerten. Untersucht worden
ist diese Frage bisher nicht.74 Die ersten
Kriegsgefangenen - Russen - beschäftigten
die Großbauern, in Hohenzollern die
Pächter der Fürstlichen Domänen.75 Nach
und nach entstanden überall im Lande
Kriegsgefangenen-Arbeitskommandos.
Betrieben wurden die Lager von den Städten
und Gemeinden, arbeiten mussten die
Gefangenen auf den Bauernhöfen oder in
Diensten der Gemeinden. Sigmaringen
und Hechingen beschäftigten russische
Kriegsgefangene als Holzhauer.76 Das Hechinger
Gefangenenlager im Stadthof, einem
großen Bauernhof in der Unterstadt,
war mit Russen und Franzosen belegt - und wurde zweimal auf Initiative von Bürgermeister
Anton Häußler aufgelöst. Er fand die fehlende Zurückhaltung vor allem von
Kindern und Frauen schamlos.77 In den Zeitungen finden sich immer wieder Berichte
über geflohene und wieder aufgegriffene Kriegsgefangene, in Hechingen starben 1918
sechs Russen an der damals epidemisch um sich greifenden Spanischen Grippe. Ihr Tod
sorgte während der Revolutionstage für Aufregung, als der sozialdemokratische
Kriegsinvalide Albert Kaibacher Anfang Januar 1919 in einer Versammlung der Zentrumspartei
Stadtpfarrer Dr. Konstantin Holl vorwarf, den Sterbenden die Sakramente
und die letzte Ölung versagt zu haben. Holl entgegnete, die orthodoxen Russen hätten
seinen katholischen Segen sowieso nicht gewünscht.78
73 Zoller Nr. 178 vom 7.8.1914.
74 Der Einsatz von Kriegsgefangenen in Württemberg ist Thema von Karl J. Mayer: Der Arbeitseinsatz
von Kriegsgefangenen in Württemberg im Ersten Weltkrieg. In: ZWLG 67 (2008), S. 367-441. Mayer beobachtet
eine für Württemberg besonders gute Quellenlage. - Vgl. Kuhn, Als der Krieg vor der Haustür
stand (wie Anm. 7), S. 83-90.
75 Hohenzollerische Blätter Nr. 114 vom 19.5.1915.
76 Zoller Nr. 247 vom 25.10.1915. - Hohenzollerische Blätter Nr. 239 vom 19.10.1917.
77 Hohenzollerische Blätter Nr. 220 vom 24.9.1916, Nr. 276 vom 1.12.1916. - Vgl. Reiser, Chronik der
Stadt Hechingen, Bd. 2 (wie Anm. 26), S. 19, 22.
78 Hohenzollerische Blätter Nr. 4 vom 7.1.1919, Nr. 22 vom 28.1.1919. - Zoller Nr. 4 vom 7.1.1919. -
Konstantin Holl: Chronik der Stadtpfarrei Hechingen III (Pfarrarchiv Hechingen, Vol. 239), S.276. -
Mindestens einmal sprang bei den Beerdigungen der evangelische Stadtpfarrer ein, siehe Hohenzollerische
Blätter Nr. 237 vom 14.10.1918.
Der Gedenkstein für sechs 1918 in Hechingen an
der Spanischen Grippe gestorbene kriegsgefangene
Russen auf dem Friedhof Heiligkreuz (Foto: Rolf
Vogt).
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