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Rolf Vogt
ebenfalls bezugsscheinpflichtig.79 Ersatzstoffe waren gefragt. Experimentiert wurde vor
allem mit Holz. Alles ist aus Papier, stöhnte im September 1918 ein Jahrmarktbesucher
in Hechingen und zählte das Sortiment der Händler auf: Papierhemden, Papierhosen,
Papierkragen, Papiermanschetten und selbst einen Regenschirm aus Papier}0 Holzschuhe
waren weit verbreitet. Ein anderer Ersatzstoff, der damals in Mode kam, war
Sacharin. Süßstoff statt Zucker. Karbid wurde interessant anstelle des ausländischen Petroleums
für die Ollampen.
Was das Heer benötigte, wurde beschlagnahmt. Das Stellvertretende Generalkommando
des XIV. Armeekorps in Karlsruhe, das im Laufe des Krieges zur beherrschenden
Verwaltungsorganisation in Baden und Hohenzollern heranwuchs,81 requirierte
nach und nach alles, was Front und Rüstungsindustrie gebrauchen konnten. Ende 1915
wurden Kupfer, Messing und Nickel aus privatem Besitz zuerst auf freiwilliger Basis
gesammelt und 1916 die verbliebenen Reste beschlagnahmt - gegen Bezahlung.82 1917
folgten Zinn und Aluminium und die Beschlagnahme der Bronze. In ganz Hohenzollern
sollen etwa 320 Glocken eingezogen und davon 150, zum Großteil im Hüttenwerk
Laucherthal, eingeschmolzen worden sein.83 Aus der Stiftskirche in Hechingen wurden
am 13. Juli 1917 vier von sechs Glocken ausgebaut, auch die Feuerglocke auf dem Rathaus
war kriegsverwendungsfähig.84 Sigmaringen musste die Johannisglocke und die
Josefsglocke seiner Stadtkirche abgeben. Dekan Josef Marmon inszenierte am 30. Juli
auf dem Marktplatz eine bewegende Abschiedsfeier.85 Am Ende hatte das Heer fast alle
Wirtschaftsgüter beschlagnahmt oder zumindest im Bestand registriert: Leder, Holz-
79 Hohenzollerische Blätter Nr. 45 vom 24.2.1915, Nr. 56 vom 9.3.1915, Nr. 64 vom 18.3.1915 (Brot- und
Mehlkarten), Nr. 251 vom 29.10.1915 (fleisch- und fettlose Tage), Nr. 227 vom 3.10.1916 (Kartoffelkarten
), Nr. 89 vom 15.4.1916 (Buttermarken), Nr. 116 vom 19.5.1916, Nr. 118 vom 22.5.1916 (Zucker- und
Seifenkarten), Nr. 135 vom 13.6.1916, Nr. 139 vom 17.6.1916 (Fleischkarten), Nr. 170 vom 27.7.1916 (Lederkarten
für Schuhmacher), Nr. 193 vom 24.8.1916 (Kleiderbezugsscheine), Nr. 295 vom 27.12.1916
(Schuhbezugsscheine), Nr. 59 vom 12.3.1917 (Eierablieferung). - Vgl. Sauter, Der Index zu den Hechinger
Zeitungen (wie Anm. 17), S. 3351-3373; Reiser, Chronik der Stadt Hechingen, Bd. 2 (wie Anm. 26),
S. 18-23.
80 Hohenzollerische Blätter Nr. 220 vom 24.9.1918.
81 Allgemein zu den Stellvertretenden Generalkommandos vgl. Karl Dietrich Erdmann: Der Erste
Weltkrieg. München 1980 (Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte 18), S. 181. - Die Akten des
Stellvertretenden Generalkommandos des XIV. Armeekorps finden sich in: GLAK456 F 8. - Den größten
Teil seiner Verfügungen verbreitete das Stellvertretende Generalkommando öffentlichkeitswirksam mit Bekanntmachungen
im Anzeigenteil der Tageszeitungen. Im badischen Gesetz- und Verordnungs-Blatt sowie
im Amtsblatt der Königlich Preußischen Regierung zu Sigmaringen sind nur wenige Anordnungen zu finden
.
82 Hohenzollerische Blätter Nr. 122 vom 29.5.1915, Nr. 164 vom 20.7.1915, Nr. 176 vom 3.8.1915,
Nr. 240 vom 16.10.1915, Nr. 255 vom 4.11.1915, Nr. 66 vom 20.3.1916. - Waldenspul, Die Heimatfront
(wie Anm. 49), S. 36. - Vgl. Reiser, Chronik der Stadt Hechingen, Bd. 2 (wie Anm. 26), S. 20, 21.
83 Hohenzollerische Blätter Nr. 229 vom 5.10.1916, Nr. 58 vom 10.3.1917, Nr. 59 vom 12.3.1917. - Waldenspul
, Die Heimatfront (wie Anm. 49), S. 34.
84 Hohenzollerische Blätter Nr. 158 vom 14.7.1917, Nr. 161 vom 18.7.1917. - Vgl. Reiser, Chronik der
Stadt Hechingen, Bd. 2 (wie Anm. 26), S. 24.
85 Hohenzollerische Volkszeitung Nr. 174 vom 31.7.1917. - Hohenzollerische Blätter Nr. 172 vom
1.8.1917. - StAS Dep. 1 T6-7 (Stadtarchiv Sigmaringen: Nachlass Franz Keller) Nr. 35: Glocken.
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