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Hungerjahre und Kriegsgewinne
Kriegswirtschaftsamt in Sigmaringen sollte die Arbeitsplätze in der Landwirtschaft füllen
, und lokalen öffentlichen Arbeitsvermittlungsämtern waren die Betriebe vor Ort
anvertraut. Hechingen hatte den sogenannten Arbeitsnachweis zur Vermittlung offener
Stellen an Arbeitslose im Fürsorgebezirk Hechingen/Haigerloch im Mai 1916 im Auftrag
des Oberamts eingerichtet. Er erhielt 1917 Statut und Kontrollgremium.90 Auch
Sigmaringen errichtete ein Arbeitsamt.
Mädchen und Frauen konnten den freiwilligen Vaterländischen Hilfsdienst leisten.
In öffentlichen Verwaltungen und privaten Büros entstanden Frauenarbeitsplätze,
Landfrauen wurden umworben. Die landwirtschaftlichen Vereine - Zentralstelle, Bauernverein
, Raiffeisen-Verband - und der Vaterländische Frauenverein organisierten
1917 in Sigmaringen den ersten hohenzollerischen Landfrauentag. Der zweite folgte in
Haigerloch, der dritte 1918 in Gammertingen. Selbst Fürstin Adelgunde kam, Wilhelms
zweite Frau. Die Versammlung in Haigerloch verfasste ein Grußtelegramm an die Kaiserin
und ließ sich über die Vorzüge des Einsatzes von Kochkisten91 im Haushalt informieren
. In Gammertingen hielt Bürgermeister Karl Löffler einen Vortrag über die
Stellung unserer Frauen in Familie und öffentlichem Leben. Er ging auf die reichsweit
hörbare Forderung nach dem Frauenwahlrecht ein, fand aber in diesem Kreise damit
keine große Zustimmung. So stand's jedenfalls in der Zeitung.92
Die Heranziehung von Frauen als Arbeitsreserve wird heute oft als Grundvoraussetzung
für das Frauenwahlrecht nach dem Krieg gesehen. Ein Zusammenhang ist allerdings
nur schwer zu erkennen. Über eine Wahlrechtsreform diskutierte Preußen
schon lange vor dem Krieg. In vielen Fabriken, in Hohenzollern vor allem in der Textilindustrie
im Raum Hechingen, lag der Frauenanteil schon vor dem Krieg hoch, und
in der Landwirtschaft haben Frauen seit eh und je ihren Mann gestanden. Als Hohenzollern
nach dem Krieg diskutierte, ob Frauen Arbeitsplätze für Kriegsinvaliden wieder
freimachen sollten, fiel niemandem eine in Frage kommende Stelle ein.93
Auch mit der Frauenarbeit ging die Fahrt weiter bergab. In Hechingen stiegen die
Textilfabriken, denen die Regierung in Sigmaringen wegen der guten Auftragslage wenige
Monate zuvor noch Samstagsarbeit genehmigt hatte, im Frühjahr 1916 auf Kurz-
90 Hohenzollerische Blätter Nr. 122 vom 26.5.1916, Nr. 58 vom 10.3.1917, Nr.209 vom 14.9.1917,
Nr. 262 vom 16.11.1917. - Amtsblatt der Königlich Preußischen Regierung zu Sigmaringen Nr. 51 vom
23.12.1916, S.261, Nr. 10 vom 10.3.1917, S. 84. - Vgl. Reiser, Chronik der Stadt Hechingen, Bd. 2 (wie
Anm. 26), S. 21, 25. - Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in Hohenzollern im Ersten Weltkrieg ist
schlecht dokumentiert. Der Verein zur Beförderung der Landwirthschaft und der Gewerbe in den Ho-
henzollern'schen Landen, der im Kaiserreich Konjunktur und Wirtschaft beobachtete, hat in den Kriegsjahren
anscheinend keine Jahresberichte mehr veröffentlicht.
91 Wärmedämmend ausgekleidete Behälter, in denen erhitzte Speisen ohne weitere Energiezufuhr garen
können.
92 Hohenzollerische Blätter Nr. 72 vom 27.3.1917, Nr. 74 vom 29.3.1917, Nr. 75 vom 30.3.1917, Nr. 240
vom 20.10.1917, Nr. 245 vom 26.10.1917, Nr. 164 vom 18.7.1918, Nr. 165 vom 19.7.1918.
93 Rolf Vogt: Talmi-Kultur und Klassen-Gegensätze: Glanz und Elend einer Industriestadt. Fabriken,
Arbeiter, Sozialdemokratie und Gewerkschaften in Hechingen im Kaiserreich. In: ZHG45 (2009), S. 135—
207, hier S. 145-148. - Rolf Vogt: Hechinger Wünsche - 5000 Mark für jeden. Die November-Revolution
, die Fürstenspende und die Demonstration der Kriegsbeschädigten am 1. Februar 1919 in Sigmaringen.
In: ZHG 47/48 (2011/2012), S. 97-136, hier S. 128.
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