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Hungerjahre und Kriegsgewinne
Die Situation kippte anscheinend dramatisch
im ersten Krisenjahr 1916. An
den Stammtischen wurde lautstark über
die vermeintlich hohen Beamtengehälter,
die Steuerfreiheit der Fürsten und den
Kriegsverlauf geredet, und die Hohenzol-
lerischen Blätter sahen die Menschen im
Winter in bitter ernster Entschlossenheit
.213 Auch Klagen über die schlechte
Lebensmittelversorgung fanden immer
wieder Eingang in die Berichterstattung.
Die Hohenzollerischen Blätter sprachen
offen von Staatssozialismus und sozialistischer
Zwangswirtschaft, um das Kriegs-
System zu charakterisieren.214 Uber
Kriegsverlauf und Friedensinitiativen und
1918 über die Streiks und die Meutereien
im Heer wurde in den Zeitungen ausführlich
informiert. Während der Streiks im
Januar 1918 rief das Stellvertretende Generalkommando
in Karlsruhe sogar mit
groß aufgemachter Zeitungsanzeige zur Regierungspräsident Graf Franz von Brühl
Wiederaufnahme der Arbeit auf. Das Ge- (Vorlage: Staatsarchiv Sigmaringen Sa 77/15).
neralkommando appellierte an die Vaterlandsliebe
der Arbeiter.215
In den Immediat-Zeitungsberichten, die er nach zweijähriger Pause seit 1917 wieder
regelmäßig nach Berlin schicken musste, schilderte Regierungspräsident Graf Brühl die
Stimmungslage der Bevölkerung aus seiner Sicht. Im ersten Bericht vom 30. Januar
1917 blickte er auf die einmütige Begeisterung, das Aufflammen der Vaterlandsliebe
und die allgemein verbreitete Uberzeugung von der Notwendigkeit und Gerechtigkeit
des Abwehrkrieges bei Kriegsausbruch zurück. Die Begeisterung habe mit der Kriegsdauer
allmählich nachgelassen, am gedrücktesten sei die Stimmung im Sommer 1916
gewesen, als schlechtes Wetter und mehrfache Nachtfröste die Ernte [...] stark gefährdeten
und gleichzeitig die üblen Nachrichten von dem Abfall Rumänien s durchsickerten
, schrieb Brühl. Am 30. Oktober 1917 fand er die Grundstimmung nach der Friedensresolution
des Reichstags in Berlin schwer erkennbar und stellte Schwarzseherei
fest. Immerhin ist die Stimmung der Landbewohner im allgemeinen besser, wie die der
Stadtbewohner, erkannte der Regierungspräsident. Er berichtete von Unmut in Landwehr
und Landsturm über Kriegsdauer und Offiziere. Ende April 1918 sah er wegen
213 Hohenzollerische Blätter Nr. 246 vom 25.10.1916, Nr. 256 vom 7.11.1916, Nr. 278 vom 4.12.1916.
214 Hohenzollerische Blätter Nr. 90 vom 18.4.1918 (Staatssozialismus), Nr. 179 vom 6.8.1918 (sozialistische
Zwangswirtschaft).
215 Zoller Nr. 29 vom 4.2.1918.
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