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Von Sigmaringen nach Washington D. C.
mächtige Entscheidung der Behörden und damit des Kaisers, Oberhofbaurat Ernst von
Ihne mit der Ausführung zu betrauen, sorgte also für Empörung unter den Architekten
, die jedoch keinen offiziellen Widerspruch wagten.91
Paul Justin von Breitenbach (1850-1930), seit 1906 Minister der öffentlichen Arbeiten
, beauftragte zur Klärung der Sachlage und wohl auch zur Beruhigung der Öffentlichkeit
im Frühjahr 1914 die Akademie des Bauwesens, die die prämierten Entwürfe
und jenen von Ihnes prüfen sollte. Das Gutachten der Akademie kam zu dem Schluß,
daß die Entwürfe von Martin Dülfer, Ernst v. Ihne und Bruno Möhring entwicklungsfähige
Grundgedanken zur Klärung und Lösung der Aufgabe enthalten?2 und empfahl,
den Verfassern die Gelegenheit zur Überarbeitung ihrer Entwürfe zu geben. Gegen ein
Honorar von je 5 000 Mark und mit Frist zum 31. Mai 1914 wurden die drei Architekten
schließlich vom Auswärtigen Amt zu einem engeren Wettbewerb aufgefordert,
denn [...] es handelt sich um eine nationale Angelegenheit, um einen Gradmesser der
deutschen Kulturhöhe für das Ausland, um ein notwendiges Begleitwerk der deutschen
Weltpolitik.93 Die deutsche Botschaft in Washington sollte allerdings erst 1959-64
durch Egon Eiermann (1904-1970) errichtet werden.
Welche Erkenntnisse konnten aus dem Washingtoner Wettbewerb von 1913 gewonnen
werden? - Erstens, dass Bauvorhaben von internationaler Bedeutung, wie eben
Botschaftsneubauten, nach Jakob Hort „nicht länger ohne viel Aufhebens in den Hinterzimmern
von Ministerien und Botschaften entschieden werden konnte[n]. Zweitens
zeigte sich, dass die Macht des Kaisers nicht mehr ausreichte, sich mit einem Federstrich
über die in der Öffentlichkeit artikulierten Interessen hinwegzusetzen, selbst
wenn es sich dabei um eine nominelle Prärogative der Krone, wie hier die Außenpolitik
und auswärtige Repräsentation des Reiches, handelte. Drittens offenbarten sich hier
aber auch die Grenzen öffentlicher Einflussnahme, die nicht ausreichte, um ein Einlenken
des Kaisers und der Reichsleitung zu erzwingen. Dies war aber nicht nur eine
Frage fehlender Machtmittel: Denn so wie der Protest der Architekten an internen Differenzen
scheiterte, verhinderte schon der fehlende gesellschaftliche Konsens über
Identitäts- und Geschmacksfragen die Durchsetzung von alternativen, nicht dynastisch
-höfisch-aristokratisch geprägten Repräsentationsvorstellungen."94
91 Vgl. Hoffmann, Architektur (wie Anm. 59), S. 254. - Zur Vita Ernst von Ihnes (1848-1917) vgl. Hans
Reuther: Ihne, Ernst Eberhard von. In: Neue Deutsche Biographie 10 (1974), S. 128 f. (Onlinefassung:
http://www.deutsche-biographie.de/pndll9531143.html, eingesehen am 24.2.2015).
92 H., Wettbewerb (wie Anm. 86), S. 203.
93 Ebd. - Zur Bewertung der Botschaftsneubauten des Kaiserreiches vgl. Hoffmann, Architektur (wie
Anm. 59), S.254f.: „[...] Die Reichsbauabteilung konnte die Planungen nicht an sich ziehen, weil das mit
Preußen verwobene Auswärtige Amt eine etwas exklusive Position innerhalb der Reichsverwaltung besessen
hat. Letztendlich konnte darum nirgendwo auf der Welt eine deutsche Botschaft anhand ihrer Architektur
der Nation zugeordnet werden. [...] [Es] zeigt sich, daß die Botschaftsarchitektur nur bedingt als
Instrument nationaler Selbstdarstellung des Deutschen Kaiserreiches geeignet gewesen ist."
94 Jakob Hort: Architektur der Diplomatie. Repräsentation in europäischen Botschaftsbauten 1800-
1920. Konstantinopel - Rom - Wien - St. Petersburg. Göttingen 2014 (Veröffentlichungen des Instituts für
Europäische Geschichte Mainz 234), S. 572.
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