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Paul Münch
mimt, kennt die Schicksale dieser einst im Ort wohnenden oder kampierenden Menschen
allenfalls noch vom Hörensagen. Das hat Gründe: Die Vorgänge sind belastend.
Man verdrängt sie nicht bloß in Steinhofen, sondern in ganz Hohenzollern. Um zu verstehen
, was damals geschah, muss man weit in die Geschichte zurückblicken, muss sich
aber besonders an die in Bisingen bis heute kaum ausgeleuchtete nationalsozialistische
Zeit erinnern, als man den Ort binnen weniger Jahre „zigeunerfrei" machte.
Bevor die Nationalsozialisten dieses Ziel erreichten, reisten „Zigeuner" als Händler,
Handwerker und Musiker jahrhundertelang auch durch Hohenzollern. Man zählte sie
mit anderen Landfahrern und Vaganten zum fahrenden Volk, das nach Herkommen,
Lebensweise und Tätigkeit bunt zusammengewürfelt war.5 Wer die Dienste dieser
„Menschen auf der Straße" nicht brauchte, sah in ihnen soziale Außenseiter, Landstreicher
, Vaganten, im schlimmsten Fall Räuber, ehrloses Gesindel oder eben „Zigeuner
". Ihren Namen deutete man schon früh als Zieh-Gauner, ein volksetymologisches
Missverständnis mit beträchtlichen Folgen. „Zigeuner" galten als dunkle Gesellen mit
magischen Kräften, mit denen die meisten Menschen nicht viel zu tun haben wollten,
als nomadisierende Vagabunden, als chronische Diebe und raffinierte Betrüger, als arbeitsscheue
Bettler, die dem dolce far niente huldigten. Man traute ihnen fast alles zu,
nur nichts Gutes.
Doch es gab auch freundliche Bilder dieser Menschen, bunte Kontrapunkte zu den
vorherrschenden negativen Klischees. Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert erschufen
Dichter, bildende Künstler und Musiker mit den Figuren des virtuosen „Zigeunergeigers
", der „rassigen Zigeunerin" und des edlen Räuberhauptmanns eine phantasiereich
ausgestattete Traumwelt, wo man vom „lustigen Zigeunerleben" singt und die meist
ärmliche Existenz dieser ausgegrenzten Menschen in ein verklärendes romantisches
Licht taucht. „Zigeuner" sind so gleichermaßen zu Objekten der Liebe und Sehnsucht
wie der Ablehnung und des Hasses geworden.
Die Geschichtsschreibung hat sich um diese Menschen erst spät gekümmert, ernsthaft
und ohne ideologische Scheuklappen eigentlich erst, seit man ihre Verfolgung und
Ermordung im Kontext der NS-Vernichtungspolitik zu erforschen begann.6 Die wis-
konnte ich auf freundliche Einladung von Otto Bogenschütz vom Bisinger Heimatverein das Thema wieder
aufgreifen. Im Folgenden lege ich als ersten Beitrag zu diesem unerforschten Feld eine erweiterte Fassung
dieses Vortrags vor. Die ausführliche und gründliche Darstellung der hohenzollerischen „Zigeuner"-
Historie, insbesondere auch der Burladinger Geschichten, bleibt ein dringendes Desiderat.
5 Vgl. aus der umfangreichen allgemeinen Literatur zu diesem Thema nur einige neuere Titel: Carsten
Küther: Menschen auf der Straße. Vagierende Unterschichten in Bayern, Franken und Schwaben in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Göttingen 1983. - Ernst Schubert: Arme Leute, Bettler und Gauner
im Franken des 18. Jahrhunderts. Neustadt an der Aisch 1983. - Ders.: Mobilität ohne Chance. Die
Ausgrenzung des fahrenden Volkes. In: Winfried Schulze (Hg.): Ständische Gesellschaft und Mobilität
München 1988, S. 113-164. - Bernd Roeck: Außenseiter, Randgruppen, Minderheiten. Fremde im
Deutschland der frühen Neuzeit. Göttingen 1993. - Franz Irsigler/Arnold Lassotta: Bettler und
Gaukler, Dirnen und Henker. Aussenseiter in einer mittelalterlichen Stadt. Köln 1300-1600. München
71996. - Richard van Dülmen: Der ehrlose Mensch. Unehrlichkeit und soziale Ausgrenzung in der Frühen
Neuzeit. Köln u. a. 1999. - Martin Rheinheimer: Arme, Bettler und Vaganten. Überleben in der Not
1450-1850. Frankfurt am Main 2000.
6 Vgl. insbesondere Michael Zimmermann: Verfolgt, vertrieben, vernichtet. Die nationalsozialistische
Vernichtungspolitik gegen Sinti und Roma. Essen 21993; Ders.: Rassenutopie und Genozid. Die national-
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