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Aufenthaltsrecht auch für Zigeuner?
senschaftliche Literatur blieb im Unterschied zur Geschichte der Juden allerdings bis
weit in die Nachkriegszeit hinein Ansichten verpflichtet, die den „Zigeunern" einen
angeborenen, kaum verbesserungsfähigen Volkscharakter andichtete oder sie mit bio-
logistischem Zungenschlag als erblich schicksalhaft belastete, rassisch minderwertige
Untermenschen abstempelte.7 Auch in Hohenzollern hat man die dramatischen Schicksale
dieser Menschen, die im ersten Drittel des 20. Jahrhundert in Burladingen und
Steinhofen fest ansässig wurden, vergessen. Ihre historiographische Marginalisierung
spiegelt auf drastische Weise ihre anhaltende soziale Ausgrenzung.8
Niemand hat es gern dieses fahrende Volk, das sich so recht und schlecht durch die
Ortschaften bewegt. Unstet ist ihr Leben und rauh, aber dennoch lassen sie sich nicht
unterkriegen, denn zahlreich ist stets ihre Kinderschar. Dies war unter dem ersten Wochenbild
des Monats Februar 1938 in einem der Hohenzollern-Kalender zu lesen, die
der Bisinger Fabrikant Christian Maute jährlich veröffentlichte. Maute hatte die Gruppe
, die einen Mann und vier Kinder beim gemeinsamen Essen im Freien zeigt, am
sozialistische „Lösung der Zigeunerfrage". Hamburg 1996; Ders. (Hg.): Zwischen Erziehung und Vernichtung
. Zigeunerpolitik und Zigeunerforschung im Europa des 20. Jahrhunderts. Stuttgart 2007 (mit weiterführendem
Literaturverzeichnis); Leo Lucassen: „Zigeuner". Die Geschichte eines polizeilichen Ordnungsbegriffs
in Deutschland 1700-1945. Köln/Weimar/Wien 1996. - Neuere, weit ausgreifende Studien:
Herbert Uerlings/Lulia-Karin Patrut (Hgg.): „Zigeuner" und Nation. Repräsentation - Inklusion -
Exklusion. Frankfurt a. M. 2008 (Sammelband); Klaus-Michael Bogdal: Europa erfindet die Zigeuner.
Eine Geschichte von Faszination und Verachtung. Berlin 2011; Hans Richard Brittnacher: Leben auf
der Grenze. Klischee und Faszination des Zigeunerbildes in Literatur und Kunst. Göttingen 2012; Frank
Reuter: Der Bann des Fremden. Die fotografische Konstruktion des „Zigeuners". Berlin 2014.
7 Vgl. etwa Hermann Arnold: Die Zigeuner. Herkunft und Leben der Stämme im deutschen Sprachgebiet
. Olten/Freiburg 1965. - Vgl. hierzu als frühen kritischen Beitrag: Mathias Winter: Von Robert Ritter
zu Hermann Arnold - Zur Kontinuität rassistischer Ideologie in der deutschen „Zigeunerforschung"
und „Zigeunerpolitik" (unpublizierte MA-Arbeit). Tübingen 1991. - Vgl. auch Gustav Radbruch, Heinrich
Gwinner: Geschichte des Verbrechens. Versuch einer historischen Kriminologie (Erste Auflage:
Stuttgart 1951), Frankfurt a. M. 1990 (Andere Bibliothek 62). Das 16. Kapitel (S. 203-216) schwadroniert
im Bann der überkommenen Diffamierungsmuster über die „Zigeuner", deren „wahres Wesen von ererbten
Instinkten" beherrscht und deren rassische „Wesensart" sich in unvermeidlich antisozialem und asozialem
Verhalten gegenüber ihren „Wirtsvölkern" äußere. Als ich den Herausgeber Hans Magnus Enzensberger
fragte, warum er dieses Werk, notabene lange nach dem Beginn der Bürgerrechtsbewegung der
deutschen Sinti und Roma, unverändert und unkommentiert wieder veröffentlichte, blieb er mir eine befriedigende
Antwort schuldig. In einem Brief (20.1.1994) unterstellte er mir mit unangemessenen Vergleichen
, ich wolle das Buch auf den Index setzen: Mit gleicher Begründung wie Radbruch könnte man die Bibel
, Grimmelshausen, die Romantiker rassistischer Äußerungen zeihen. Den Nachdruck konnte oder
wollte Enzensberger nicht begründen. Einen klärenden Kommentar, den ich vermisste, hielt er für unnötig
. Das Beispiel Radbruch/Gwinner und Enzensberger zeigt, dass die Verachtung der „Zigeuner" nicht
auf das rechte Parteienspektrum beschränkt blieb, sondern selbst bei „linken" Intellektuellen noch im ausgehenden
20. Jahrhundert en vogue war.
8 Vgl. Ingrid Bauz/Sigrid Brüggemann/Roland Maier (Hgg.): Die geheime Staatspolizei in Württemberg
und Hohenzollern. Stuttgart 2013. Hohenzollern findet im knappen Kapitel „Verfolgung von Sinti
" (S. 334-336) keine Berücksichtigung. - Vgl. zu Steinhofen immerhin die knappen Hinweise bei Christine
Glauning: Entgrenzung und KZ-System. Das Unternehmen „Wüste" und das Konzentrationslager
in Bisingen 1944/45. Berlin 2006, S. 326-327. - Vgl. auch einige Bemerkungen bei Manfred Teufel: Die
Gendarmerie in Hohenzollern 1835-1918. In: ZHG44 (2008), S. 19-39.
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