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Aufenthaltsrecht auch für Zigeuner?
müssten als büßende Pilger durch die Lande ziehen, weil sie die Heilige Familie auf ihrer
Flucht nach Ägypten nicht beherbergt hätten.19
Ein besonderes Problem stellt die heute als politisch korrekt geltende Doppelbezeichnung
„Sinti und Roma" dar. Sie soll die diffamierende Fremdbezeichnung „Zigeuner
" ersetzen, eine Praxis, die Politik und Medien inzwischen übernommen haben.
Sie entstand 1982, also vor bald 40 Jahren, als sich in der Bundesrepublik die Bürgerrechtsbewegung
der vordem so genannten Zigeuner im Heidelberger „Zentralrat Deutscher
Sinti und Roma" mit dem Anspruch auf eine eigene, selbst definierte Geschichte
organisierten. Dabei soll der Plural „Sinti" jene „Zigeuner" bezeichnen, die in Mitteleuropa
seit Jahrhunderten beheimatet sind, „Roma" hingegen Menschen, die seit der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus Südosteuropa zugewandert sind oder gegenwärtig
nach der Aufnahme Rumäniens und Bulgariens in die EU wieder zuwandern.20
In Parallele zur jüdischen „Shoa" charakterisierte der Heidelberger Zentralrat den Völkermord
der Nationalsozialisten an den Sinti und Roma als „Porajmos" („das Verschlingen
"). Die Umtaufe war politisch verständlich, weil erst mit der Anerkennung
als eine der großen Opfergruppen des Naziregimes nennenswerte staatliche Entschädigungen
beansprucht werden konnten.
Wie sollen wir es heute mit den Namen halten? Der überkommene „Zigeuner"-Na-
me wandelte im Laufe der Zeit mehrmals seine Inhalte und war stets mehrdeutig definiert
. Seine Geschichte beginnt als diffuser ethnischer Begriff, an den sich bald wechselnde
soziale Bedeutungen anlagerten. Er besaß eine über „Volkscharakter" und
„Rasse" behauptete ethnische Füllung, umfasste aber schon früh auch Menschen, die
mit Tsiganen und Ägyptern überhaupt nichts zu tun hatten, von den „Fahrenden" bis
zu Menschen, die man heutzutage „Asoziale" nennt.21 Gegenüber dieser gemischt ethnisch
-soziologischen Bedeutung will die 1982 propagierte Neuschöpfung „Sinti und
Roma" die früheren „Zigeuner", die selbst von den Rassenlehren niemals eindeutig
klassifiziert werden konnten, unverwechselbar und eindeutig als ethnische Minderheit
definieren. Der Doppelname, der für die frühere Zeit nicht nachweisbar ist, wurde deswegen
nicht einfach „geboren", sondern stellt nicht anders als der „Zigeuner"-Name
eine gesellschaftliche Konstruktion, ein „gesellschaftliches Produkt" dar.22 Auch hinter
dem neuen Doppelnamen stehen Interessen, eben die Emanzipation der „Zigeuner" zu
19 Vgl. Ines Köhler-Zülch: Die Heilige Familie in Ägypten, die verweigerte Herberge und andere Geschichten
von ,Zigeunern': Selbstäußerungen oder Außenbilder? In: Daniel Strauss (Hg.): Die Sinti-Roma
-Erzählkunst im Kontext Europäischer Märchenkultur. Heidelberg 1992 (Schriftenreihe des Dokumentation
- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma 1), S. 35-84.
20 Romani Rose (Hg.), „Den Rauch hatten wir täglich vor Augen". Der nationalsozialistische Völkermord
an den Sinti und Roma. Katalog zur ständigen Ausstellung im Dokumentations- und Kulturzentrum
Deutscher Sinti und Roma. Heidelberg 1999, S. 13.
21 Vgl. Leo Lucassen: Zigeuner im frühneuzeitlichen Deutschland. Neue Forschungsergebnisse, -pro-
bleme und -Vorschläge. In: Karl Härter (Hg.): Policey und frühneuzeitliche Gesellschaft. Frankfurt a. M.
2000, S. 235-262. - Maria Meuser: Vagabunden und Arbeitsscheue. Der Zigeunerbegriff der Polizei als
soziale Kategorie. In: Wulf D. Hund (Hg.): Zigeuner. Geschichte und Struktur einer rassistischen Konstruktion
. Duisburg 1996, S. 107-128. - Karl Härter: Art. Zigeuner. In: Handwörterbuch zur deutschen
Rechtsgeschichte. Bd. 5. Berlin 1998, Sp. 1699-1707.
22 Vgl. Bogdal: Europa erfindet die Zigeuner (wie Anm. 6), S. 15.
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