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Aufenthaltsrecht auch für Zigeuner?
schaffter der Cristen-Landt.31 Dies hatte einschneidende Folgen. Fortan verwehrte man
den Zigeunern Geleit und Sicherheit in deutschen Landen. Sie wurden wiederholt für
vogelfrei erklärt.32 Jeder konnte gegen sie vorgehen, ohne deswegen verfolgt zu werden
. Martin Luther, der für die folgenden Jahrhunderte in der evangelischen Welt meinungsbildend
wurde, sah in den Zigeunern notorische Diebe, Betrüger und Lügner, ihre
Wahrsagerei interpretierte er als teuflische Praxis. In seiner antijüdischen Hetzschrift
„Von den Juden und ihren Lügen" (1543), in der er zur Zerstörung der Synagogen und
Judenhäuser aufrief, diente ihm die Behandlung der Zigeuner als Blaupause für die von
ihm geforderten Maßnahmen gegen die Juden. Man solle sie vnter ein Dach oder Stal
thun/ wie die Zigeuner/auff das sie wissen, sie seien nicht Herrn in unserm Lande/ wie
sie rhümen/Sondern im Elend und gefangen?3 Luther übertrug schließlich die meisten
negativen Zigeunerklischees inklusive des Spionagevorwurfs auch auf die Juden.34
Die politische und theologische Ausgrenzung der Zigeuner entfaltete seit dem
16. Jahrhundert eine unheilvolle Wirkung. Daran war auch die katholische Kirche beteiligt
, obgleich sich dort auch freundlichere Stimmen finden.35 In katholischen Gegenden
blieb im Unterschied zu den protestantischen Ländern, in denen die Armenfürsorge
kommunalisiert worden war, die theologische Hochschätzung individueller
Caritas erhalten. Bettler, zu denen regelmäßig auch Zigeuner gezählt wurden, folgten
nur zu gerne „den Wegen zu den unzähligen großen und kleinen Wallfahrts- und Gnadenstätten
, die das katholische Deutschland überzogen. Auch Klöster und Pfarrhäuser
waren beliebte Anlaufstationen, die man selten ohne einen Kanten Brot oder eine warme
Suppe verließ."36 Gleichwohl verschärfte sich mit der beginnenden Neuzeit die
Ausgrenzung der Zigeuner in Deutschland. Dies lässt die volksetymologisch falsche
Deutung des Zigeunernamens erkennen. Steckte im Zigeuner nicht einer, der einher-
zog, ein Ziehteinher37 oder, offen diskriminierend, vielleicht gar ein ziehender Gauner,
ein Zieh-Gaunert Diese negative Einschätzung wurde rasch populär.
Sie prägte auch die Zigeunerdarstellung aus dem Bilderbuch des evangelischen Pfarrers
Daniel Pfisterer aus Köngen, der im frühen 18. Jahrhundert Blumen, Tiere und
31 Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, Welche von den Zeiten Kayser Conrads des
IL bis jetzo, auf den Teutschen Reichs-Tägen abgefasset worden, Bd. 2. Franckfurt am Mayn 1747, S. 49:
„Von den Zygeinern. §46".
32 Vgl. Thomas Fricke: „Gebt acht, ihr Zigeuner, allhier bleibt keiner!" Vor 500 Jahren wurden die Zigeuner
für vogelfrei erklärt. In: Ulrich Hagele (Hg.): Sinti und Roma und Wir. Ausgrenzung, Internierung
und Verfolgung einer Minderheit. Tübingen 1998, S. 21-35.
33 Martin Luther: Von den Jüden vnd Jren Lügen. Wittemberg 1543.
34 Wilhelm Solms: Zigeunerbilder. Ein dunkles Kapitel der deutschen Literaturgeschichte von der frühen
Neuzeit bis zur Romantik. Würzburg 2008, S. 46 f. - Vgl. generell auch Thomas Kaufmann: Luthers
„Judenschriften". Ein Beitrag zu ihrer historischen Kontextualisierung. Tübingen 2011.
35 Die Haltung der verschiedenen Konfessionen zu den „Zigeunern" während der Frühen Neuzeit ist,
soweit ich sehe, konfessionsvergleichend noch kaum erforscht. - Vgl. vorläufig: Bruno Nicolini, Die katholische
Kirche und die Zigeuner In: Mirella Karpati (Hg.), Sinti und Roma gestern und heute. Rom
1994, S. 118-138; Wilhelm Solms, „Sie sind zwar getauft, aber..." Die Stellung der Kirchen zu den Sinti
und Roma in Deutschland. In: theologie.geschichte 1, 2006, S. 107-129.
36 Paul Münch, Lebensformen in der Frühen Neuzeit. 1500 bis 1800. Berlin 1998, S. 95.
37 Zedler, Universal-Lexicon, Bd. 62 (wie Anm. 17), Sp. 520.
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