Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
51/52(136/137).2015/16
Seite: 334
(PDF, 88 MB)
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Paul Münch

ne Zeitzeugin der Jahre 1924-1934 aus Neckarhausen berichtet, bereits Kindern als
nicht geheuer vor. Wenn sie mit ihren Pferdewagen auftauchten, flüchteten wir ins elterliche
Haus. Es hieß, sie würden die bösen Kinder mitnehmen. Und wer wußte schon
mit Sicherheit, ob er auch gemeint war.61 Alte und neue Vorurteile gegen Zigeuner wurden
literarisch unendlich oft dargestellt und verbreitet. Selbst Oskar Maria Graf, der
die üblichen Vorurteile gegen Zigeuner nicht teilte, beschwor den fast magischen Ein-
fluss der Zigeuner auf die Menschen seiner oberbayerischen Heimat, dem man hilflos
ausgeliefert schien: Zigeuner waren wie ein Fatum. Etwas gegen sie zu unternehmen,
brachte erst recht Fluch und Unglück.62

3. INTEGRATION UND ROMANTISIERUNG

Diskriminierung und Verfolgung waren und sind wesentliche und prägende Hauptstränge
zigeunerischer Geschichte. Sie setzen sich, wie wir an der fortgesetzten Ausgrenzung
der Zigeuner nach 1945 und an der aktuellen Diffamierung der Roma beobachten
können, bis in die Gegenwart fast ungebrochen fort.63 Und doch ist das nicht die
ganze Wahrheit. Zigeuner wurden im Lauf ihrer Geschichte nicht nur diskriminiert,
verfolgt und ermordet, zwischen Zigeunern und Teilen der einheimischen Bevölkerung
gab es immer wieder auch Phasen halbwegs normalen Zusammenlebens.64 Man scheint
mancherorts, weil man aufeinander angewiesen war, sogar ganz gut miteinander ausgekommen
zu sein. Verfolgungen waren wegen der Schwäche der Vollzugsorgane und des
politischen Flickenteppichs im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation oft wenig
effektiv. Dies gilt besonders für die deutschen Länder des 17. und 18. Jahrhunderts, die
man nicht mit modernen Staaten und schon gar nicht mit Diktaturen verwechseln darf.
Die einfache Bevölkerung sabotierte, wie wir aus verschiedenen Regionen wissen, häufig
die Verfolgungsaktionen, warnte die Zigeuner vor Razzien, bot ihnen gar Unterschlupf
. Nicht bloß Bauern, auch Dorfbeamte und Schultheißen, ja ganze Gemeinden
und kleine Adelige ließen sich solche Delikte zuschulden kommen.

Zu engeren sozialen Beziehungen kam es regelmäßig bei Taufen von Zigeunerkindern
, bei denen die einheimische Bevölkerung Patenschaften übernahm, Gevatter

61 Lydia Focke: Kindheit in Neckarhausen, in: HH42 (1992) S. 3.

62 Oskar Maria Graf: Das Leben meiner Mutter. München 182002, bes. S. 115, vgl. aber auch S. 112-119,
S. 344-346, S. 355. - Viele weitere literarische Beispiele bei Klaus-Michael Bogdal: Europa erfindet die
Zigeuner. Eine Geschichte von Faszination und Verachtung. Berlin 52011.

63 Vgl. Gilas Margalit: Die Nachkriegsdeutschen und „ihre Zigeuner". Die Behandlung der Sinti und
Roma im Schatten von Auschwitz. Berlin 2001. - Hans-Dieter Schmid (Bearb.): Fremd im eigenen Land.
Sinti und Roma in Niedersachsen nach dem Holocaust. Katalog zur Ausstellung des Vereins für Geschichte
und Leben der Sinti und Roma in Niedersachsen e. V. Bielefeld 2012.

64 Vgl. als wichtige Studien dieses Forschungsansatzes Alfred Höck: Recht auch für Zigeuner? Ein Kapitel
Minderheitenforschung nach hessischen Archivalien. In: Konrad Köstlin/Kai Detlev Sievers
(Hgg.): Das Recht der kleinen Leute. Beiträge zur rechtlichen Volkskunde. Berlin 1976, S. 77-88. - Karin
Bott-Bodenhausen (Hg.): Sinti in der Grafschaft Lippe. Studien zur Geschichte der „Zigeuner" im
18. Jahrhundert. München 1988. - Ulrich Friedrich Opfermann: „Seye kein Zigeuner, sondern kay-
serlicher Cornet". Sinti im 17. und 18. Jahrhundert. Eine Untersuchung anhand archivalischer Quellen.
Berlin 2007.

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