Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
51/52(136/137).2015/16
Seite: 337
(PDF, 88 MB)
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Aufenthaltsrecht auch für Zigeuner?

stalten und das angeblich freie Zigeunerleben als ideale Traumwelt, als paradiesischen
Gegenpol ordentlicher Bürgerlichkeit. Mit Goethe sang man Loblieder auf die reizende
Wirtschaft eines Zigeunerhaufens und beneidete die wunderlichen Gesellen, die in
seligem Müßiggange alle abenteuerlichen Reize der Natur zu genießen berechtigt sind;
man freute sich, ihnen einigermaßen ähnlich zu sein.68 Zumal im Bild der Zigeunerin fo-
kussierten sich unerfüllte bürgerliche Sehnsüchte, von der erotischen Ausstrahlung der
verführerischen Esmeralda Victor Hugos bis zu Prosper Merimees glutäugiger Carmen
. Ein herabgestimmter Abglanz dieser romantischen Lebensauffassung spiegelt das
bekannte Lied vom lustigen Zigeunerleben, das bis heute die von bürgerlichen Pflichten
freie Existenz in der Natur besingt. Etwas von diesem romantischen Zauber verrät
noch das frühe Foto eines Zigeunerlagers, aufgenommen im Donautal um 1890 während
des Baus der Eisenbahn (vgl. S. 336).69 Noch im 20. Jahrhundert pries Otto Pan-
kok die anarchische Existenz seiner geliebten Düsseldorfer Zigeuner: Dem ewigen
Spießer bleiben sie ein Greuel, die schwarzen Lieblinge der Freiheit.70

Den Höhepunkt romantischer Verklärung bildete die Zigeunermusik. Bereits Tele-
mann, Haydn, Mozart und Beethoven hatten Stücke auf Zigeunerart (alla zingarese)
geschrieben. Franz Liszt und viele andere romantische Komponisten ließen sich von
zigeunerischer Musik anregen, von den Zigeunerliedern Brahms' bis zu Johann Straußens
Zigeunerbaron-Operette. Die Konjunktur der Zigeunermusik hält bis heute an,
von hinreißenden Bläser- und Cymbalklängen ostmitteleuropäischer Herkunft über
den Gypsy-Jazz eines Django Reinhardt, die deutschen Zigeunermusik eines Schnu-
kenack-Reinhardt oder eines Häns'sche Weiß bis zum spanischen Flamenco.

Im Zeichen der Romantisierung zigeunerischen Lebens wurde es Mode, sich als Zigeuner
und Zigeunerin zu verkleiden.71 Der Trend erreichte auch die hohenzollerische
Provinz. Man ließ sich, etwa in Hechingen und Sigmaringen, als Zigeuner-Gruppe ablichten
, ganz im Operettenstil der Zeit, der völlig abgehoben von der gleichzeitig stattfindenden
Ausgrenzung der Zigeuner eine romantische Gegenwelt schuf, in die man
zeitweise flüchtete (vgl. S. 338).

Zigeuner waren mitunter auch im Alltag geschätzt, ansatzweise sogar gesellschaftlich
integriert.72 Als am 31. Oktober 1928 der Burladinger Zigeuner Benedikt Reinhardt
zu Grabe getragen wurde, geschah dies unter großer Beteiligung der Bevölkerung.73
Hinter dem Sarge folgten die Angehörigen, ergreifende Trauerweisen spielend, so auch
am Grabe nach der üblichen Trauerfeier des Geistlichen. Benedikt Reinhardt galt als
Nachkomme eines alten Zigeunergeschlechts und Senior einer landauf und landab
wohlbekannten Zigeunerfamilie. Deren Vorfahren hätten, wie man sich erzählte, hun-

68 Erich Trunz (Hg.): Goethes Werke. Bd. 7. Hamburg 51962, S. 223.

69 Fotosammlung des Sigmaringer Baurats Eduard Eulenstein in der Hohenzollerischen Heimatbücherei
Hechingen (HBH K 1176a).

70 Otto Pankok: Zigeuner. Düsseldorf 21958.

71 Musik-Verein Hechingen. Carnevalistischer Abend 1891. Eine Fotomontage von F. Klingler Hofphotograph
. Das Bild befindet sich in der Hohenzollerischen Heimatbücherei Hechingen (HBH UB 391.15).

72 Die soziale Integration der Zigeuner im 19. und 20. Jahrhundert ist wenig erforscht. Die Verfolgungsund
Vernichtungsgeschichte der nationalsozialistischen Zeit hat das halbwegs normale, nicht ständig bedrohte
Leben der Zigeuner in der deutschen Gesellschaft völlig aus der öffentlichen Erinnerung verdrängt.

73 Hohenzollerische Blätter vom 30.10. und 2.11.1928.

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