Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
51/52(136/137).2015/16
Seite: 340
(PDF, 88 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2015-16/0348
Paul Münch

schiedenen deutschen Rassen und ihren Mischungen.81 Darüber hinaus galt als artverwandt
nur das Blut derjenigen Völker, deren rassische Zusammensetzung der deutschen
verwandt ist. Dies betraf die in Europa geschlossen siedelnden Völker und deren Abkömmlinge
in anderen Erdteilen, sofern sie sich nicht mit artfremden Rassen vermischt
hatten. Aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen wurden Angehörige „artfremder
Rassen". Dazu zählte das Gesetz in Europa außer den Juden regelmäßig nur die Zigeuner
.

Die Gleichstellung von Juden und Zigeunern zeigt, wie konfus und absurd die nationalsozialistische
Rassentheorie war. Juden nicht über ihre Religion, sondern ihre angebliche
Rasse definieren zu wollen, ist unmöglich und blieb auch bei nationalsozialistischen
Rassetheoretikern umstritten. Doch Zigeuner als Artfremde zu definieren,
entbehrte selbst rassistischer Logik. Man wusste seit beinahe zwei Jahrhunderten, dass
Zigeuner wohl aus Indien stammten, mithin sprachlich und ethnisch als Indogermanen
oder Indoeuropäer zu gelten hatten. Deutlicher ausgedrückt: Zigeuner waren ihrer
Herkunft nach als Ur-Arier anzusehen, sie waren jedenfalls mindestens so arisch, wie
es die nationalsozialistischen Herrenmenschen selbst gerne gewesen wären: Blond wie
Hitler, groß wie Goebbels, schlank wie Göring, eben so arisch, wie es sich die NS-Ras-
sentheoretiker nur wünschen konnten.*2

Wenn es darauf ankam, jemanden rassisch als „Zigeuner" zu klassifizieren, war aus
diesem Dilemma nur schwer herauszukommen. Man beauftragte deshalb die rassenhygienische
und bevölkerungsbiologische Forschungsstelle im Reichsgesundheitsamt zu
Berlin, die rassische Qualität der Zigeuner zu überprüfen.

Diese Aufgabe übernahm 1936 der Psychiater Robert Ritter, der als Leiter der Forschungsstelle
zur führenden Figur der nationalsozialistischen Zigeunerpolitik avancierte
.83 Ihm zur Seite standen als wichtigste Mitarbeiter Adolf Wurth und Eva Justin.84
Ritters Institut wollte die Zigeuner aus dem Wesen ihrer Rasse heraus definieren. Bis
zum Ende der Nazi-Herrschaft hat sein Institut alle rund 24 000 deutschen Zigeuner
begutachtet, letztlich ohne klares Ergebnis. Trotz aller Kopf-, Profil-, Augen-, Nasen-
und Ohrenvermessungen gelang es nicht, einen eindeutigen zigeunerischen Rassetypus
nachzuweisen. Der Ausweg war, Zigeuner als asoziale Mischlinge zu charakterisieren.
Ritter hatte bereits als Oberarzt in der Tübinger Psychiatrie mit erbbiologischen Reihenuntersuchungen
nachweisen wollen, dass kriminelles und asoziales Verhalten genetisch
angelegt sei, dass es mithin geborene Verbrecher gebe.85 Das Erbschicksal lege

81 Als vertrauliche Drucksache des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern vom Regierungspräsidenten
der Hohenzollerischen Lande an die Landräte, Standes- und Gesundheitsämter verschickt (StAS
Ho 13 Tl Nr. 1366).

82 Vgl. Zigeuner. So arisch. In: Der Spiegel Nr. 17 vom 20.4.1963, S. 45.

83 Vgl. Irmgard Bumiller: „Getarnter Schwachsinn". Der Tübinger Beitrag zur nationalsozialistischen
„Zigeuner"-Verfolgung. In: Benigna Schönhagen (Hg): Nationalsozialismus in Tübingen. Vorbei und
vergessen. Katalog der Ausstellung. Tübingen 1992 (Tübinger Kataloge 36), S. 103-111.

84 Vgl. ihre Berliner Dissertion: Dr Eva Justin, Lebensschicksale artfremd erzogener Zigeunerkinder
und ihrer Nachkommen. Berlin 1944 (Gutacher waren Eugen Fischer, Richard Thurnwald und Robert Ritter
).

85 Vgl. seine medizinische Habilitationsschrift: Robert Ritter: Ein Menschenschlag. Erbärztliche und

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