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Paul Münch
Heinrich Himmlers vom 16. Dezember 1942 verfügte schließlich die Deportation aller
deutschen Zigeuner nach Auschwitz II in Birkenau. Dort entstand ein abgetrennter Bereich
als Zigeunerlager, in dem bis August 1944 über 20000 Menschen eingeliefert
wurden. Insgesamt sollen zwischen 1938 und 1945 etwa 15 000 Deutsche als Zigeuner
oder Zigeunermischlinge ermordet worden sein, davon etwa 10500 in Auschwitz-Birkenau
. Die Gesamtzahl der Opfer des Porajmos in Europa schätzt man auf 500000.
5. DIE VERTREIBUNG DER STEINHOFENER ZIGEUNER
In Hohenzollern lebte mit dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft die alte,
schon zu Anfang des Jahrhunderts verbreitete Horrorvorstellung einer sich seuchenartig
ausbreitenden Zigeunerplage wieder auf, eine Renaissance übler Klischees, verschärft
durch die Rassenlehre, welche Zigeuner als biologische Fremdkörper aus der
Volksgemeinschaft ausschloss. Eine besondere Gefahr schien von Steinhofen auszugehen
, das neben Burladingen die größte Zigeunerpopulation Hohenzollerns beherbergte
. Tatsächlich hatte der Ort für Zigeuner eine erhebliche Anziehungskraft. Seit 1933
konnten in Steinhofen Zigeuner und nach Zigeunerart herumreisende Personen mit ihren
Wagen bei einem Privatmann lagern, der ihnen bald auch feste Wohnsitze vermietete
. Die günstige Verkehrslage des Orts dürfte hierbei eine wichtige Rolle gespielt haben
.
Die Luftaufnahme von Steinhofen und einem Teil Bisingens aus dem Jahre 1935 (vgl.
Abb. S. 343 oben) zeigt links von der Kirche den Verlauf der alten Reichs- und späteren
Bundesstraße 27.87 Dieser alte, wohl schon von den Römern genutzte Verkehrsweg,
die sogenannte Schweizer Straße, war die wichtigste Durchgangsroute für den Fernverkehr
nach Süden. Wer vom Norden kommend in die Schweiz oder nach Italien reisen
wollte, kam mitten durch Steinhofen, darunter Dichter wie Goethe und Lenau, um
nur die berühmtesten zu nennen.88 Auch Musiker und Komponisten wie Mendelssohn,
Spohr und Liszt durchfuhren auf ihren Reisen in den Süden den Ort.89 Die Lage an einer
überregionalen Verkehrsachse sicherte Steinhofen neben Hechingen und dem
württembergischen Balingen eine zentrale Position in der Region.
Eine Luftaufnahme aus dem Jahre 1938 (vgl. Abb. S. 343 unten) zeigt den Verlauf
der alten Schweizer Straße durch den Ort noch deutlicher.90 Auf diesem Foto sind auch
die Gebäude und einige der Plätze zu erkennen, in denen sich die so genannten Zigeu-
87 Foto in der Hohenzollerischen Heimatbücherei Hechingen (HBH B 74, 53b). Auf der Rückseite:
„Nr. 21844 gesetzl. gesch. Copyright by Luftverkehr Strähle Schorndorf (Württbg.) Alle Rechte vorbehalten
. Freig. d. R. L. M. 28.6.35. Nachgeprüft: 19.12.39."
88 Nikolaus Lenau, der auch Zigeuner besungen hat, soll in Steinhofen zu seinem berühmten „Postillon"-
Gedicht „Lieblich war die Maiennacht" angeregt worden sein. - Vgl. Walter Scheffler: Nikolaus Lenau
in Schwaben. In: 1200 Jahre Bisingen. Das Jubiläumsjahr: Rückblick in Wort und Bild. Hg. von der Gemeinde
Bisingen. Bisingen 1986, S. 35-49.
89 Vgl. Paul Münch, „Hier erst ging mir der Himmel in Herz und Seele auf...". Friedrich Wilhelm Con-
stantin und das „Orpheische Hechingen". In: Hohenzollerische Heimat 61 (2011), S. 80-84.
90 Foto in der Hohenzollerischen Heimatbücherei Hechingen (HBH B 74, 53a). Auf der Rückseite:
„8.11.38. Nachgeprüft: 13. Dez. 1940."
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