Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
51/52(136/137).2015/16
Seite: 354
(PDF, 88 MB)
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Paul Münch

Klink eingemietet. Sie versuchten, sich auf redliche Weise durchs Leben zu bringen und
seien nicht vorbestraft. Der Vorwurf der Unsauberkeit sei unbegründet und sie hätten in
Steinhofen auch niemand belästigt. Sie wüssten nicht, wo sie eigentlich bleiben sollten.

Die Zigeuner hatten mit ihrer Revision wider Erwarten Erfolg, ein unüberhörbares
Signal, dass rechtsstaatliche Grundsätze partiell auch noch nach fast dreijähriger NS-
Herrschaft in Geltung waren.140 Der dritte Senat des Preußischen Oberverwaltungsgerichts
hob am 5. Dezember 1935 unter dem Vorsitz des Staatsministers Dr. Drews die
im vergangenen Januar ergangenen Beschwerdebescheide des Landrats samt den polizeilichen
Verfügungen des Steinhofener Bürgermeisters auf. Der Beklagte hatte die
Kosten des Verfahrens in Höhe von 300 Reichsmark zu tragen. Das Gericht folgte in
der Urteilsbegründung im Wesentlichen der Argumention der Kläger. Die Polizeiverordnung
stehe im Widerspruch zum Niederlassungsrecht. Da die Kläger unbestritten
Deutsche und im Besitz von Wandergewerbescheinen seien, hätten sie nach § 1 des
Freizügigkeitsgesetzes das Recht, sich in Deutschland an jedem Orte ungehindert aufzuhalten
.141 Das stärkste Argument des Oberverwaltungsgerichts hob damit auf die
frühere rechtliche Ungleichbehandlung der Zigeunern ab: Als deutsche Staatsangehörige
unterliegen Zigeuner keinem Ausnahmerecht. Wie sie den allgemeinen staatlichen
Verpflichtungen unterworfen sind, befinden sie sich andererseits aber auch unter dem
Schutze der Gesetze. Man könne sie nicht von Ort zu Ort jagen. Das würde allen regierungsseitig
auf ihre Seßhaftmachung hinzielenden Bestrebungen geradezu entgegenlaufen
. Die Behauptung einer Belästigung sei nicht belegt: Daß die Bevölkerung
Steinhofens sich allein schon durch die Anwesenheit von Zigeunern belästigt fühlt und
die Gefahr besteht, dass sie zur Selbsthilfe schreitet, bedeutet keine von den Klägern
verursachte Gefahr der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Ahnlich schwach begründet
seien die Klagen bezüglich der Unsauberkeit der Unterkünfte. Der Vorwurf
einer gesundheitsgefährlichen Verschmutzung ihrer Wohnungen sei durch nähere polizeiliche
Ermittlungen und ärztliche Stellungnahme nicht hinreichend aufgedeckt, um
eine gewissenhafte Feststellung in dieser Beziehung treffen zu können.

Das Urteil war eine schallende Ohrfeige für die staatlichen Organe in Hohenzollern,
vom Steinhofener Dorfpolizisten bis zum Sigmaringer Regierungspräsidenten. Im Zollerland
hatte man wie andernorts seit langem mit vielen Sonderverordnungen die gewohnte
Lebensweise der so genannten Zigeuner einzuschränken versucht und sie damit
als rechtlich minderwertige Personen behandelt. Die Diffamierungsklischees, die
seit Jahrhunderten über die Ziehgauner in der Bevökerung kursierten, waren gewissermaßen
kontinuierlich von staatlicher Seite bestätigt worden. Das Urteil des preußischen
Oberverwaltungsgerichts bedeutete eine radikale Kehrtwendung. Es behandelte
die Kläger nicht als „Zigeuner", die seit Jahren rechtlicher Ungleichbehandlung ausge-

140 Vgl. den Bericht in den Hohenzollerischen Blättern vom 7.3.1936: Aufenthaltsrecht gilt auch für Zigeuner
(Exemplar in der Hohenzollerischen Heimatbücherei Hechingen, K299, VI).

141 Das Urteil bezog sich auf den Artikel 111 der Weimarer Verfassung: Alle Deutschen genießen Freizügigkeit
im ganzen Reiche. Jeder hat das Recht, sich an beliebigem Orte des Reichs aufzuhalten und niederzulassen
, Grundstücke zu erwerben und jeden Nahrungszweig zu betreiben. Einschränkungen bedürfen
eines Reichsgesetzes. - Vgl. Hermann Mosler (Hg.): Die Verfassung der Weimarer Republik vom 11. August
1919. Stuttgart 2009.

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