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Aufenthaltsrecht auch für Zigeuner?
einen Beschwerdebrief an den Sigmaringer Regierungspräsidenten, der ausführlich zitiert
werden soll, weil er zeigt, was man in der Bevölkerung von Klinks Gästen und
dem nächtlichen Treiben im Umfeld der Wirtschaft hielt.164 Ihr Wortführer klagte, man
könne es nicht hinnehmen, dass jede Woche zwei- bis dreimal Geschrei, Händel und
Streit Männern, Frauen und Kindern bis um drei Uhr den Schlaf raubten: Es geht heute
wahrhaftig nicht an, dass schaffende Menschen Bauer oder Fabrikarbeiter, die Tag
für Tag an ihren Arbeitsplätzen ihre Pflicht erfüllen müssen, dann abends sich müde zur
Ruhe legen, sich von diesen unliebsamen Gästen ihre Ruhe rauben lassen müßen. Es ist
dies die Hauptstrasße No. 27, der Durchgangsverkehr ist immer ein sehr reger. Meines
Erachtens ist es keine Zierde für eine Gemeinde wenn die Insassen der vielen Autos dabei
auch viele Ausländer sehen wie da 30-40 Personen von diesem braunen Gesindel
auf der Strafe herumtumeln. Jedenfalls trägt so etwas zur Verschönerung des Straßenbildes
nicht bei. Die Bürgersleute von Steinhofen empören sich über das Verhalten dieser
braunen Gäste. Dieser Zustand auf dieser Straße ist auch für den Verkehr sehr gefährlich
und bedeutet für die Einwohnerschaft von Steinhofen unbedingt eine
Herabwürdigung, zumal wir im Reiche Adolf Hitlers auch in der kleinsten Gemeinde
saubere und geordnete Verhältnisse haben wollen.
Bereits vier Wochen später, in der Nacht vom 29. auf den 30. August kam es erneut
zu lautstarken Störungen. Aus der Anzeige, die der Bisinger Gendarm Rutzke an den
Hechinger Oberstaatsanwalt wegen Kuppelei schickte, erfahren wir Details.165 Als besonders
verdächtig erschienen drei gut gekleidete Weibspersonen, die seidene Unterkleidung
trugen. Sie seien wohl Dirnen, die auf dem Land der Gewerbsunzucht nachgingen
. Ihr betrunkener Beschützer (Zuhälter) habe bis 5 Uhr in der Frühe lautstark
vor der ,Sonne' randaliert und Steine gegen die Wirtschaft geworfen. Erschwerend
komme hinzu, dass Klink in seinem Lokal seit Anfang Juni eine Zigeunerin aus Meckenbeuren
als Animierdame beschäftige, die für einen Spass zu haben sei und Gäste
heranlocken solle. All dies nähre den Verdacht, dass sich Klink der Kuppelei schuldig
gemacht habe.
Der Kuppeleivorwurf war schwerwiegend, weil man die Gefährdung, die von den
Zigeunern in rassenbiologischer Hinsicht drohte, entsprechend den Nürnberger Gesetzen
für ebenso groß hielt wie die jüdische Gefahr. Bereits im Juni hatte deswegen Robert
Ritter, der Präsident des Reichsgesundheitsamtes in Berlin-Dahlem, vom Hechinger
Landrat sämtliche ältere und neuere Akten der Zigeuner im Kreis Hechingen für
seine rassenhygienische Forschungsstelle angefordert. Da Schraermeyer die Akten für
seine Abschiebeaktionen selbst dringend wieder benötigte, reichte Ritter sie Anfang
November mit der Bemerkung, sie seien sehr wertvoll gewesen, zurück.166 Uber die von
Zigeunern angeblich ausgehenden rassenbiologischen Gefahren informierte umgehend
164 Gemeindearchiv Steinhofen, Nr. 561 (Beschwerdebrief vom 2.8.1937 mit 11 Unterschriften). - Die
Originalschreibweise des Briefes ist beibehalten. - Vg. auch StAS Ho 13 T1 Nr. 825 (masch. Abschrift des
Beschwerdebriefs mit sogar 14 Unterschriften).
165 StAS Hol3 T1 Nr. 836 (Bericht des Gendarmerie-Hauptwachtmeisters Rutzke vom 2.9.1937).
166 StAS Ho 13 T1 Nr. 825 (verschiedene Schreiben vom 18.6., 14.9., 4.10. und 6.11.1937). - Schraermeyer
schickte die fünf Aktenbände am 11. Oktober an die Gestapo in Sigmaringen weiter, erhielt sie aber nach
einigen Tagen wieder zurück (Schreiben vom 11. und 15.10). Die daraus gegebenenfalls resultierenden
Maßnahmen Ritters bedürfen weiterer Erforschung.
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