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Paul Münch
gestellten bau-, feuer- und gesundheitspolizeilichen Mängel auf und setzte Klink für
die Behebung der Mängel eine Frist bis zum 1. Juli 1938.192 Das Nebengebäude Nr. 146
wurde aus baupolizeilichen Gründen für jeden Zweck menschlicher Behausung gesperrt
. Sämtliche Wohnungen müssten bis zum 30. Mai geräumt sein, das Gebäude sei
bis spätestens 15. Juni auf Abbruch zu verkaufen. Klink legte mit Schreiben vom
27. Mai 1938 an die Bisinger Ortspolizeibehörde Beschwerde ein. Als sein Stuttgarter
Rechtsbeistand Richard Widmann am 30. Juli mit einem ausführlichen Gutachten, in
das auch die Meinung des Stuttgarter Regierungsbaumeisters Professor W. Kintzinger
eingeflossen war, Klage gegen die Gemeinde Bisingen erhob und die von der Ortspolizeibehörde
gemachten Auflagen zur Beseitigung von bau-, feuer- und gesundheitspolizeilichen
Beanstandungen der Gebäude Nr. 47 und 146 aufheben wollte, gab es in
Steinhofen bereits keine Zigeuner mehr. Klink und Widmann konnten gerade noch den
Abriss des fast neuen Nebengebäudes (Nr. 146) verhindern.193
Widmanns Gutachten kam zu spät, doch es bleibt von Bedeutung, weil der Stuttgarter
Rechtsanwalt, der Klink und die Zigeuner vor dem Preußischen Oberverwaltungsgericht
in Berlin vertreten hatte, die Gelegenheit ergriff, dem Hechinger Landrat
Paul Schraermeyer seine anhaltend abweichende Position in der gesamtem Zigeunerfrage
nochmals darzulegen. Anlass für seine Stellungnahme war eine Meldung im
Amtsblatt für den Kreis Balingen vom 25. Juni, welche die Vorgänge in Steinhofen folgendermaßen
resümiert hatte: Keine Zigeuner mehr in Steinhofen. Der einmütigen Zusammenarbeit
aller zuständigen Organe von Verwaltung und Partei ist es zu danken,
dass dieses Problem, welches viele für unlösbar hielten, schnell und erfolgreich gelöst
wurde. Widmann sah in dieser Lösung eine Rechtsbeugung durch die untere Verwaltungsebene
, die sich offensichtlich nicht an juristischen, sondern den erwünschten rassenpolitischen
Vorgaben orientierte: Damit steht einmal fest, dass entgegen den wiederholten
preussischen höchstrichterlichen Entscheidungen zur Zigeunerfrage an Ort
und Stelle, also bei den nachgeordneten Instanzen eine andere Anschauung vertreten
wird, als sie vom Oberverwaltungsgericht wiederholt, so z.B. am 5.12.35, in unzweideutiger
Weise bekannt gegeben wurde. Es muss ferner geschlossen werden, dass nicht
die von der Ortspolizei für die angefochtene Verfügung bekannt gegebenen Gründe
massgeblich für dieselben sind, sondern anderweitige Absichten verfolgt worden sind.
Bereits am 25. Mai hatte Bürgermeister Maier die zwei Zimmer der Katharina Reinhardt
in der ,Sonne' (Nr. 47) und die Wohnungen der Familien Karl Spindler, Anton
Reinhardt, Johann Winter im Neubau (Nr. 146) sperren lassen. Die Betroffenen wurden
am 31. Mai vormittags zwischen 7 Uhr 30 und 9 Uhr vom Hechinger Gendarmerie
Obermeister Beuck zwangsweise aus ihren Wohnungen entfernt und kurzerhand im
Steinhofener Schafstall einquartiert.194 Der Zynismus der Maßnahme spricht für sich.
Weil ein menschenwürdiges Leben in dem westlich vor dem Ort gelegenen Schafstall
nicht möglich war, verließ Karl Spindler, der einen Alteisenhandel betrieben hatte, am
192 StAS Ho 13 T1 Nr. 827 (24.5.1938 und weitere Schreiben).
193 StAS Ho 13 T1 Nr. 827 (Gutachten Widmanns vom 30.7.1938). - Ebd. (Schreiben Maiers an Klink
vom 15.11.1938).
194 Gemeindearchiv Bisingen, Nr. 1281 (Schreiben Maiers an den Hechinger Gendarmerie-Obermeister
Beuck vom 30.5.1938 samt dessen Vollzugsmeldung).
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