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Aufenthaltsrecht auch für Zigeuner?
8. Juni, einem Mittwoch, mit seiner Familie samt Pferd, Wagen und Hausrat die schäbige
Bleibe, in die man ihn verpfercht hatte. Er zog nach Magstadt bei Böblingen.195
Tags darauf flohen die Familien Anton Reinhardt und Johann Winter aus dem Schafhaus
. Sie kamen in Weil im Schönbuch unter. Die alten, nicht mehr gebrauchsfähigen
Möbelstücke hatten sie stehen lassen.196 Zurück blieben die Witwe Katharina Reinhardt
mit drei Kindern und ihrem Bruder Anton. Doch auch sie flüchteten eine Woche später
, am 15. Juni, weil die Schikanen kein Ende nahmen. Man mag es nicht glauben: Bürgermeister
Hugo Maier hatte an diesem Tag, vormittags um 11 Uhr, persönlich eröffnet
durch den Gendarmerie-Hauptwachtmeister Rutzke, noch eine Hausordnung für die
Bewohnung des Schafstalles erlassen, wonach die Stallbewohner von abends 6 Uhr bis
morgens 7 Uhr ein Ausgehverbot zu beachten hatten und außerhalb des Gebäudes
nicht mehr lagern durften - notabene mitten im Sommer.197
Die Gemeindeverwaltung konnte so rücksichtslos vorgehen, weil es ihr gelungen
war, kurz zuvor auch Klink trotz mehrerer Einsprüche die Konzession für die ,Sonne£
zu entziehen.198 Zur Begründung dieser Maßnahme zählte sie auf: Mehrere Vorstrafen,
unlautere Handelsgeschäfte, Vorschub zu Unsittlichkeit, Ausbeutung Unerfahrener,
Gefährdung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit. Geradezu unverantwortlich aber sei
die Gewährung von Unterschlupf an die Zigeuner, da es sich bei diesen Elementen doch
um einen biologischen Fremdkörper handle, auf dessen zerstörenden Einfluss nach der
Lehre des Nationalsozialismus von Blut und Rasse unser blut- und rassenmäßig harmonisch
gestalteter Volkskörper zwangsläufig mit Entartung antworten müsse. Julius
Klink war mit dem Konzessionsentzug die Existenzgrundlage genommen. Ein Leben
in Steinhofen war für ihn unmöglich geworden. Am 10. Juni bot er die ,Sonne' samt der
ganzen Landwirtschaft in den Hohenzollerischen Blättern zur Pacht oder zum Kauf
an.199 Fünf Monate später, am 10. November 1938, pachtete Guido Maier aus Zimmern
ob Rottweil die Gaststätte.200 Julius Klink verlegte seinen Wohnsitz Ende 1938 nach
Lindau201, wo er die Gastwirtschaft ,Zum Idyll' erwarb.202
195 Geimeindearchiv Bisingen, Nr. 1281 (Schreiben des Bisinger Bürgermeisters an den Regierungspäsi-
denten vom 11.6.1938). - Karl Spindler stellte 1952 einen Wiedergutmachungsantrag, der abschlägig beschieden
wurde. In seinen Begründungen rekapitulierte er auch die Zeit, die er in Steinhofen verbracht hatte
. Aus dem Schafstall sei er ausgezogen, um der Verbringung in ein Konzentrationslager zu entgehen
(10.9.1952) (ebd.).
196 Gemeindearchiv Bisingen, Nr. 1281 (Bestandsaufnahme vom 17.6.1938).
197 Gemeindearchiv Bisingen, Nr. 1281 (15.6.1938). - Die Erforschung der weiteren Schicksale der vertriebenen
Steinhofener „Zigeuner" bleibt ein dringendes Desiderat.
198 Gemeindearchiv Steinhofen, Nr. 561 (Schreiben der Polizeibehörde an Klink vom 24.5.1938). - Vgl.
hierzu den Artikel aus den Hohenzollerischen Blättern vom 24.9.1937 (Gemeindearchiv Bisingen,
Nr. 1281), aus dem wörtlich abgeschrieben wird.
199 Vgl. Hohenzollerische Blätter vom 10.6.1938.
200 Gemeindearchiv Steinhofen, Nr. 561 (Schreiben des Bürgermeisters an den Landrat vom 12.3.1941).
- Guido Maier gab die ,Sonne' bereits 1940 wieder auf, weil er zur Wehrmacht eingezogen wurde. Zum
1.3.1940 pachtete die Baukompanie des Fliegerhorsts Grosselfingen die Räumlichkeiten, gab sie aber ebenfalls
bald wieder auf.
201 Klink verzog am 28.12.1938 nach Lindau, behielt aber in Steinhofen bis zum 1.4.1939 einen 2. Wohnsitz
bei (StAS Ho 13 T1 Nr. 827).
202 Gemeindearchiv Steinhofen, Nr. 561 (Anfrage des Bürgermeisters der Stadt Lindau wegen Klink vom
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