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Paul Münch
Nachdem am 15. Juni die letzten Bewohner des Schafstalls Flüchtlinge im eigenen
Land geworden waren und der Sonnenwirt sich anschickte, dem Dorf den Rücken zu
kehren, herrschten in Steinhofen endlich jene sauberen und geordneten Verhältnisse,
die man sich im Reiche Adolf Hitlers auch in der kleinsten Gemeinde gewünscht hatte
.203 Die Zigeunerplage war beseitigt, dem notorischen Querulanten, Volksschädling
und Oberzigeuner hatte man's gezeigt!204 Nun konnte Bürgermeister Hugo Maier der
Kreisleitung, dem Landrat und dem Regierungspräsidenten mit sichtlichem Stolz und
ganz im Tonfall der gegen die Juden gerichteten Slogans verkünden, die Gemeinde sei
endlich zigeunerfrei.205 Der Bisinger Gemeinderat gab drei Wochen später zu Protokoll
: Die Gemeinderäte, insbesondere aber die Gemeinderäte vom Ortsteil Steinhofen
sind über die überaus rasche und gründliche Lösung dieser unerquicklichen Frage äusserst
befriedigt.™
Das wurde groß gefeiert. Bürgermeister und NSDAP-Kreisleitung luden auf Sonntag
, den 31. Juli 1938 zu einer Gemeindeversammlung in den Steinhofener Lammsaal.207
In Vorbesprechungen mit den Vereinsvorständen bestimmte man für den feierlichen
Einmarsch die Fahnenträger der einzelnen Ortsgruppen und der Betriebe Maute, Keller
und Kress. Die Beigeordneten und Gemeinderäte, die Gemeindeangestellten und
die SA-Kameraden wurden namentlich zur Teilnahme verpflichtet, insgesamt 32 Personen
. Gesonderte Einladungen gingen an die NSKOV (NS-Kriegsopferversorgung),
den Kyffhäuserbund, die Hitlerjugend (HJ), den Bund Deutscher Mädel (BdM), den
4.1.1939). - In seiner neuen Heimat spielte Klink am Kriegsende nochmals eine bemerkenswerte öffentliche
Rolle. Am 30.4.1945 übergab er die Stadt an die einrückenden Franzosen und amtierte für etwa zwei
Wochen als Landrat von Lindau, bevor die Militärregierung Dr. Franz Eberth als legitimen Bürgermeister
und Landrat von Lindau etablierte (vgl. Werner Dobras: Nachkriegszeit und Kreispräsidium. In:
Ders./Andreas Kurz: Daheim im Landkreis Lindau. Weiler 1994, S. 136; Werner Dobras: Lindau 1945-
1955. Begleitheft zur Ausstellung. Lindau 1986, S. 27). - Ein Artikel im Südkurier vom 12.6.1946 (nachgedruckt
im Schwäbischen Tagblatt vom 9.7.1946) berichtet, dass Klink vom französischen Militärgericht
wegen Schädigung der Autorität der französischen Militärregierung aus dem Landkreis Lindau ausgewiesen
und zu einer Gefängnis- und Geldstrafe verurteilt werden sollte. Es ist der Erwähnung wert, dass Julius
Klink auch literaturwürdig geworden ist. In ihrem 2012 mit dem deutschen Buchpreis ausgezeichneten
Roman Landgericht (München 220 1 2) erwähnt Ursula Krechel im Kontext der Ubergabe der Stadt an
die Franzosen ohne Namensnennung den Wirt des Lindauer Gasthauses ,Idyll' (S. 22 und 24), natürlich
auch ohne Kenntnis seines früheren Einsatzes für die Steinhofener „Zigeuner".
203 Vgl. StAS Ho 13 Tl Nr. 825 (2.8.1937). Die Erforschung der weiteren Schicksale der Steinhofener
„Zigeuner" bleibt ein dringendes Desiderat.
204 Vgl. Anm. 154.
205 Gemeindearchiv Bisingen, Nr. 1281 (Schreiben an den Baiinger NSDAP-Kreisleiter Lüdemann vom
20.6.1938 und an den Landrat und Regierungspräsidenten vom 21.6.1938).
206 Gemeindearchiv Bisingen, Nr. 1281 (5.7.1938). - Die politische Kehraktion endete ein Jahr später, am
24.6.1939, einem Samstag, als Bürgermeister Maier, Gendarmerie-Hauptwachtmeister Rutzke und Amtsgehilfe
Kleinmann die Hinterlassenschaften der letzten Zigeunerfamilie nach Ablauf der Frist für Fundsachen
in Flammen aufgehen ließen: 2 Chaiselongues, 2 Sofa, 2 Bettstellen, 1 Tisch, 2 Herde, 14 Bilder, sonstiges
Gerumpel und 1 Pferdebürste (Gemeindearchiv Bisingen, Nr. 1281 [Aktenvermerk vom 24.6.1939]). -
Vgl. Anselm Wagner: „Wir säubern Graz!" Zum Motiv des Straßenkehrens in der politischen Bildpropaganda
. In: Ders. (Hg.): Abfallmoderne. Zu den Schmutzrändern der Kultur. Münster/Wien 2010,
S. 271-310.
207 Gemeindearchiv Bisingen, Nr. 448.
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