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Otto H. Becker
Schloss Hühnlich bei Görlitz in Schlesien vorgesehen.66 Doch dieses Vorhaben stieß
beim Reichssicherheitshauptamt auf Ablehnung. Man wollte aus Überwachungsgründen
die französischen Politiker lieber zusammen in einem engen und überschaubaren
Bereich haben.67 So kam das Reichsaußenministerium schließlich zu dem Entschluss,
Laval das Stauffenbergschloss Wilflingen als Wohnsitz zuzuweisen. Die Observierung
des französischen Ministerpräsidenten und seiner Umgebung konnte in Wilflingen
überdies von der dort bereits präsenten Sonderabteilung des Reichssicherheitshauptamtes
wahrgenommen werden.68
Der Zeitpunkt der Entfernung des französischen Ministerpräsidenten aus dem
Schloss in Sigmaringen und seine Einquartierung in Wilflingen wird weder in der zitierten
Pfarrchronik noch in der französischen Literatur angegeben.69 Nach Auffassung
von Arnulf Moser fand dieses Ereignis im Januar 1945 statt.70 Aufgrund von einschlägigen
Unterlagen, die im Staatsarchiv Sigmaringen verwahrt werden, muss die „Abschiebung
" Lavais jedoch offensichtlich erst viel später erfolgt sein.
Schaitel notierte unterm 21. Januar 1945 in sein Tagebuch, dass sich Laval mit seiner
näheren Umgebung nach Wilflingen in das Schloss des Freiherrn von Stauffenberg begeben
werde.71 Doch erst unterm 12. März 1945 trug unser Gewährsmann in sein Tagebuch
die Notiz ein, aus zuverlässiger Quelle erfahren zu haben, dass Laval zu Beginn
des laufenden Monats nach Wilflingen gezogen sei.72 Für einen solch späten Umzugstermin
spricht auch die Tatsache, dass der Nachfolger von Abetz, Botschafter Reine-
beck (1883-1946), erst unterm 26. Februar 1945 die Beschlagnahme des Schlosses Wilflingen
zur Einquartierung des französischen Ministerpräsidenten verfügt hatte.73 In
seiner Stellungnahme zu den Erinnerungen des ehemaligen Landeskonservators für
Hohenzollern Walther Gemmer (1890-1983)74 über den Aufenthalt der Vichy-Regie-
rung in Sigmaringen erklärte der aus Sigmaringen stammende Jurist Herfried Schlude,
damals bei der Europäischen Kommission in Brüssel tätig, dass Laval bis zum 11. März
1945 im Sigmaringer Schloss gewohnt habe und dann bis zum 21. April 1945 in Wilflingen
gewesen sei.75 Demnach dürfte die Einquartierung Lavais im Schloss Wilflingen
erst in der ersten Märzhälfte 1945 stattgefunden haben.
Die erwähnte Anordnung des Botschafters Reinebeck vom 26. Februar 1945 gewährt
darüber hinaus auch interessante Einblicke in die mit der Verbringung Lavais
nach Wilflingen in Zusammenhang stehenden Fragen. Danach wurde Schloss Wilflin-
66 Moser, Befreiungskomitee (wie Anm. 3), S. 23.
67 Ebd.
68 Hierzu oben Anm. 58.
69 So Louis Nogueres: La derniere etape Sigmaringen. Paris 1956, S. 218, und Cointet, Sigmaringen
(wie Anm.l), S. 238-240.
70 Moser, Befreiungskomitee (wie Anm. 3), S. 23.
71 Schaitel, Tagebuch (wie Anm. 11), S. 29.
72 Ebd., S. 34.
73 StASFASDS168NVA32193.
74 Wilfried Schöntag: Walther Genzmer f. In: Hohenzollerische Heimat 33 (1983), S. 56f.
75 Schwäbische Zeitung Sigmaringen vom 31.12.1964. - Eine schriftliche Anfrage des Verfassers nach den
quellenmäßigen Belegen für die angegebenen Daten über den Aufenthalt Lavais in Sigmaringen und Wilflingen
wurde von Dr. Herfried Schlude, der heute am Gardasee wohnt, nicht beantwortet.
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