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Neues Schrifttum
Sigmaringen und Hohenzollern-Hechingen erhielten unter dem französischen Kaiser
Napoleon I. die Souveränität. Im heutigen Baden-Württemberg gelang dies nur Baden
und Württemberg, zwischen denen die beiden kleinen Länder Hohenzollern liegen.
Schon damals war dieser politische Kraftakt äußerst ungewöhnlich. Auch wenn in
jüngster Zeit nicht mehr daran gezweifelt wird, dass der Einfluss dieser Fürstin maßgeblich
für den Erhalt der Fürstentümer war, so tat sich die hohenzollerische Geschichtsschreibung
(Weber, S. 8) wie auch die Legendenbildung (Egli, S. 38) schwer mit
der Tatsache, dass die Fürstin als jung verheiratete Frau und Mutter eines zehn Wochen
alten Säuglings im Mai 1783 zu ihrem Bruder nach Paris - die Stadt hatte bekanntlich
in Punkto Sittlichkeit nicht den besten Ruf - geflohen ist. Die vorliegende Edition ermöglicht
unter anderem neue Erkenntnisse zu den Fragen: Welchen Einfluss die Fürstin
Amalie Zephyrine auf die Politik hatte, was deutsche Adlige in Paris während der
Französischen Revolution erlebten und welche Forderungen eine selbstbewusste adlige
Frau an die Ehe und Liebe in dieser gesellschaftlichen Umbruchszeit stellte.
Der Berichtszeitraum endet 1831, zehn Jahre vor dem Tod der Sigmaringer Fürstin,
die als Tochter des deutschen Fürsten Philipp von Salm-Kyrburg am 6. März 1760 in
Paris geboren wurde, und mit dem Tod ihres Mannes, Fürst Anton Aloys von Hohen-
zollern-Sigmaringen. Wann genau sie ihre Aufzeichnungen abgeschlossen hat, ist nicht
bekannt, auch nicht, wann genau sie damit begonnen hat. Egli (S. 21) vermutet, dass
dies bald nach ihrer Rückkehr im Jahr 1809 nach Sigmaringen der Fall war. Im Domänenarchiv
des Fürstenhauses verblieb die vierteilige und nachträglich gebundene
Schrift, die mit einem Titel (s.o.) ihres Sohnes Karl versehen worden ist. Die Herausgeber
der Edition haben sich entschlossen, die mit dem 12. Februar 1830 von ihr unterschriebene
Widmungsepistel für ihren Sohn Karl nach vorne zu ziehen und nicht am
Ende des ersten Teils zu belassen.
Auch wenn die Verfasserin dem Sohn die Schrift kurz vor dem Tod ihres Mannes
widmete, bedeutet dies nicht, dass er beim Schreiben der alleinige Adressat war. Immer
wieder spricht sie auch andere Personengruppen an und richtet sich meist nicht direkt
an ihren Sohn. Möglicherweise hat sie sich erst im Laufe der Zeit entschlossen, ihre Lebensgeschichte
nicht weiter zu überarbeiten, sondern sie in ihrer Ursprünglichkeit und
dadurch auch unterschiedlichen Beurteilung von Situationen und Menschen zu belassen
. Der passionierten Briefschreiberin Amalie (Egli, S. 26) ist es offensichtlich wichtig,
ihre Sicht der Dinge zu vermitteln: „Ich schrieb, wie ich über die Sache dachte" (S. 315)
oder am Ende der Aufzeichnungen (S. 343): „Ich hingegen bin glücklich, wenn ich mich
denjenigen, die ich liebe, mitteilen kann."
Die Autorin Amalie Zephyrine strebt zunächst einen möglichst dokumentarischen
Bericht an („ich sage dies, weil ich es mir zum Grundsatz gemacht habe, in meiner Erzählung
die Wahrheit nicht zu verzerren", S. 125) und beginnt chronologisch mit ihrer
Geburt. Erste Erinnerungen verbindet sie mit einer Krankheit im Alter von fünf Jahren
. Sie schreibt mit literarischem Gespür und schmückt einzelne Erinnerungen, wie
den Tod ihrer Schwester Louise, anschaulich aus. Sie legt Wert auf Beziehungen, weiß,
dass hier ihre Stärke liegt. Sie erzählt von ihren Eltern, Geschwistern und besonders
von ihrem 15 Jahre älteren Bruder Friedrich, der nach dem Tod des Vaters eine wichtige
Rolle in ihrem Leben einnimmt. Über ihn schreibt sie, er sei der einzige, der für ihr
„Glück gesorgt hat" (S. 157). Er bleibt bis zu seinem Tod unter der Guillotine für sie
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