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Neues Schrifttum
Siegermacht von nordamerikanischen und britischen Gnaden waren überdies beide
Themen ständig miteinander verquickt: die berüchtigten französischen Abholzaktionen
(die „F-Hiebe"), die unkontrollierten Requisitionen, die nicht enden wollende Demontage
der ohnehin nicht gerade üppigen südwürttembergischen Industrie, die hohen
Fleischablieferungen für die Besatzungsmacht bei kärglichster Ernährungsplanung
für die deutsche Bevölkerung, all dies bildete ein gewaltiges Konfliktpotenzial.
Die Notlage des Landes betraf auch die neue Landesregierung selbst: Sie musste um
elementare Punkte wie ihre räumliche Unterbringung ebenso kämpfen wie um die Verfügung
über Fahrzeuge und Benzin. Nach wenigen Jahren, das zeigen diese Protokolle
deutlich, waren die deutschen Politiker nicht mehr bereit, all dies als Folge einer totalen
militärischen Niederlage hinzunehmen. Hinzu kamen die zahlreichen Unzulänglichkeiten
speziell der französischen Besatzungsmacht: ihre überbordende Bürokratie,
die deutsche Gegenstücke produzierte, das Hin- und Herschieben von Problemen zwischen
dem Tübinger Militärgouverneur Widmer und dessen Vorgesetzten in der Baden
-Badener Zentrale, ihren aus solchen und weiteren inneren Konflikten herrührenden
Zickzackkurs, der immer wieder vorkommende Versuch, deutsche Stellen
gegeneinander auszuspielen und dabei vor (wohlwollend formuliert) Halbwahrheiten
nicht zurückzuschrecken. Für all dies bietet der Protokollband zahlreiche Beispiele und
neue Illustrationen. Die vielköpfige französische Besatzungsadministration entpuppte
sich immer deutlicher als ein sehr problematisches Gegenüber. Sie reagierte nicht nur
äußerst empfindlich auf öffentliche Kritik, sondern erwartete, dass die Landesregierung
und der Landtag französische Vorgaben als deutsches Regierungshandeln erscheinen
lassen sollten. Dabei waren nicht nur die Zumutbarkeitsgrenzen, etwa bei Lebensmittelablieferungen
an die Besatzungsmacht, strittig. Probleme bereitete insbesondere die
französische Hinhaltetaktik, die nach zähen Verhandlungen Konzessionen in Aussicht
stellte, die sich aber später als nur marginal erwiesen. Tief widersprüchlich erschien
wohl auch den Landespolitikern die Kluft zwischen allmählicher politischer und wirtschaftlicher
Konsolidierung in der Bizone und dem Damoklesschwert immer neuer
Demontage-„Feldzüge" gerade, wie es ihnen erschien, in Württemberg-Hohenzollern.
Dies in Kombination mit Unnachgiebigkeit in Sachen Fleischabgabe aus der Substanz
der Nutz-, nicht der Schlachttiere und der Hinhaltetaktik bezüglich des Rederechts des
Landtags führte in dramatischer Zuspitzung nicht nur zum Rücktritt der Regierung,
sondern auch zu einer Art von politischem Streik des Landtags im Sommer 1948. Dieser
sich allmählich anbahnende, immer mehr als unvermeidlich erscheinende Konflikt
spiegelt sich in den Sitzungsprotokollen mit besonderer Deutlichkeit.
Vor allem aber war die grundsätzliche Frage nach ihren Rechten und Funktionen gegenüber
der Besatzungsmacht zu klären, die ihrerseits zwischen generellen, aber vagen
Zugeständnissen und ihrer abrupten Zurücknahme im Detail schwankte. Die Protokolle
zeigen, dass die Regierung Bock um eine neue staatsrechtliche Basis bemüht war,
eine Geschäftsordnung der Landesregierung ebenso auf den Weg brachte wie eine
Kreis- und eine Gemeindeordnung. Neben den drängenden Versorgungsproblemen
der Nachkriegs jähre standen grundsätzliche Probleme an: die Entnazifizierung, die Bodenreform
und die Schulreform. Hier zeigt sich deutlich das Bestreben Bocks, konservative
Politik zu treiben: die Entnazifizierung auf das Notwendigste zu beschränken,
die Bodenreform nicht etwa auf den besonders umstrittenen, weil wertvollen Waldbe-
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