http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2015-16/0454
Neues Schrifttum
Württemberg durch eine West-Ost-Linie wird eine neue, große Lösung möglich, die in
der Weimarer Republik angedacht, aber nicht mehrheitsfähig war: So sieht es Hans-
Jürgen Matz, und Robert Kretzschmar pflichtet ihm bei. Indirekt sind somit auch hier
die Alliierten entscheidend beteiligt.
Selten sind die neuen Grenzlinien Entscheidungen von unten. Nur im Falle von
Thüringen und Baden-Württemberg spielt der Volkswille eine wichtige Rolle. Der Wille
der Bevölkerung äußert sich jedoch sehr erfolgreich, wenn es um eine Veränderung
des einmal geschaffenen Status quo geht. Auch völlig willkürlich geschaffene Grenzlinien
wie im Falle Rheinland-Pfalz werden faktisch zäh verteidigt. Diese im Band mehrfach
angesprochenen Beharrungskräfte nicht nur zu konstatieren, sondern näher zu untersuchen
, wäre eine lohnende Aufgabe.
Im Mittelpunkt der jeweiligen Darstellungen stehen die politischen Konstellationen,
die den Zusammenschluss von Territorien ermöglicht haben. In unterschiedlicher Tiefe
werden die historischen Wurzeln der einzelnen Gebiete beschrieben, teils präzise
und detailreich, teils nur in groben Strichen.
Fast allen Beiträgen gemeinsam ist, dass sie den Verwaltungsaufbau und seine Entstehung
genau nachzeichnen, wohl um damit den Grad der Berücksichtigung regionaler
Belange zu umschreiben. Offensichtliche Vorgabe der Herausgeber ist, auch das
Thema Identität einzubeziehen (S. 251). Ausgeführt wird sie jedoch in ganz unterschiedlicher
Weise: teils sehr knapp, teils ausführlich, teils nur im Sinne emotionaler
Bindung an ein bestimmtes Territorium. Wie komplex bereits diese Fragestellung sein
kann, zeigt der Beitrag über Sachsen-Anhalt. Leider fehlt ein Hinweis darauf, wie die
Landesregierungen diese schwierige Ausgangslage bei ihrer Stiftung von Landesidentität
aufgefangen haben. Nur in zwei Beiträgen wird etwas über Identitätsstiftung (in beiden
Fällen durch Landesregierungen) und ihre Inhalte gesagt. Für Baden-Württemberg
gibt es dazu zwei kleinere Abschnitte. Im Beitrag über Hessen jedoch wird ausführlich
berichtet, wie die SPD-geführten Landesregierungen sich bemühen, Hessen als Musterstaat
in ihrem Sinne und als Gegenentwurf zur Bonner (CDU-)Republik darzustellen
. Historisches wird dabei lange Zeit völlig ausgeblendet; erst später kommt eine geschichtliche
Komponente dazu.
Recht unterschiedlich ist auch der Umgang der einzelnen Beiträge mit der Forschungsliteratur
. Gelegentlich dominiert ganz offensichtlich die ältere Literatur (z.B.
im Beitrag von Frank Engehausen über „Länderschacher nach Napoleon" bezüglich
der linksrheinischen Gebiete und des preußischen Sachsen) und im Beitrag von Hans-
Christoph Kraus über Hohenzollern. Im Aufsatz zu Rheinland-Pfalz erstaunt die fehlende
Erwähnung von Hans-Jürgen Wünschet sowie der materialreichen Studie von
Celia Applegate zur pfälzischen Identität im 19. und 20. Jahrhundert.
Bei aller Unterschiedlichkeit der Beiträge sind die Vorgaben der Herausgeber für die
Autoren deutlich zu bemerken. Herausgebern und Autoren ist für diese Koordination
sehr zu danken, denn sie erhöht sichtbar die Vergleichbarkeit der gewählten Beispiele
und bringt dem Leser damit das zentrale Anliegen des Bandes nahe: die Schwierigkeiten
und Chancen solcher Neuanfänge. Anders gesagt: Das Maß an inhaltlicher Kohärenz
innerhalb des Sammelbandes ist ungewöhnlich hoch und zeigt die Sorgfalt seines
Entstehens. Diese erweist sich auch in den 42 neuen, nach einheitlichen Kriterien geschaffenen
Karten. Sie sind eine sehr willkommene Orientierungshilfe für den Leser,
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