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Neues Schrifttum
tät Bonn entwickelte „Geschichtliche Landeskunde" wird von Wilhelm Janssen als
„programmatischer Neuansatz" gewürdigt. Vor allem den Geschichtsvereinen widmet
sich die Skizze von Winfried Speitkamp: Nationalsozialismus und Landesgeschichte.
Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus habe im Bereich der Landesgeschichte noch
kaum begonnen, klagt Benigna Schönhagen, die ihre Studie zwar „Südwestdeutsche
Landes- und Ortsgeschichte im Nationalsozialismus" nennt, sich aber ganz auf die
Württembergischen Vierteljahreshefte für Landesgeschichte (in der Einführung
S. XVIf. zu Württembergischen Jahresheften zur Landesgeschichte verballhornt) und
ihre Nachfolgerin Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte konzentriert.
Wesentlich weniger kohärent finde ich die Beiträge zu Spätmittelalter und früher
Neuzeit. Wieso werden die Artikel zur frühneuzeitlichen regionalen Identität in Lothringen
(Rainer Babel) und im benachbarten Elsass (Bernard Vogler, basierend auf „umfassenden
Vorarbeiten", wie man schon im ersten Satz erfährt) durch drei andere getrennt
? Ein Aufsatz von Dieter Mertens zum nationalen Diskurs („Deutsche
Nationalgeschichte um 1500" vor allem am Beispiel der "Epitome rerum Germanicarum
" von Jakob Wimpfeling) eröffnet den Reigen. Zwei Autoren behandeln einzelne
historiographische Werke: Sänke Lorenz die 1474 entstandene Mömpelgarder Genealogie
Graf Eberhards im Bart von Württemberg-Urach (in Farbe dokumentiert), einen
der ältesten Texte der dynastischen Geschichtsschreibung in Württemberg, Gerhard
Wolf einmal mehr die Chronik der Grafen von Zimmern, ohne dass er gegenüber seinen
anderen Publikationen zu diesem Werk wesentlich Neues beibringen kann. Städtische
Traditionsbildung steht im Mittelpunkt von Rudolf Gampers Bemühungen um die
chronikalisch überlieferten Gründungsgeschichten der Stadt Zürich vom 14. bis
16. Jahrhundert.
Da ich meinen angefragten Beitrag zum Schwaben-Diskurs leider nicht fertigstellen
konnte, darf ich auf einige interessante Hinweise zu diesem Thema in dem Band aufmerksam
machen. Dieter Mertens wendet die von Johannes Helmrath als „Stufenprinzip
" bezeichnete historiographische Denkfigur in glücklicher Weise auf seinen Gegenstand
an. Das „föderative Grundmuster" sei für das vormoderne deutsche Nationsdenken
konstitutiv, weil es einen absoluten, von den lokalen patriae, den regionalen
gentes/„Stämmen" (die ebenfalls nationes heißen konnten) losgelösten Nationalismus
nicht gegeben habe (S. 10). „Patriotische Exkurse", die sich auf diese kleineren Einheiten
bezogen, sind typisch für die damaligen humanistischen deutschen Geschichtswerke
. Selbst Johannes Nauklers Weltchronik, die gerade nicht nationalgeschichtlich ausgerichtet
ist, befolgt das Stufenprinzip mit einem elf Seiten langen Exkurs zum Lob
Schwabens (S. 18). „Die kleineren Gebilde leisten etwas Ruhmreiches für die nächst
größeren, so dass eine Stufenleiter der Zwecke und Verdienste, des Ruhmes und der
Ehre entsteht. So wird der vormoderne Nationalismus von konkurrierenden Diskursen
begleitet, die er geradezu provoziert, während der moderne Nationalismus ein eifersüchtiger
Gott ist, der keine fremden Götter neben sich duldet" (S. 18 f.). Man kann solche
prägnanten Sätze nicht lesen, ohne den Verlust zu beklagen, den die südwestdeutsche
Landeskunde durch den Tod von Dieter Mertens erlitten hat.
Im 14. Jahrhundert wollte eine Erzählung über Zürichs Ursprung wissen, Zürich
(Turegum) sei die Stadt zweier Könige, Turicus, König im Königreich von Arles, Swe-
vus, König in Schwaben (Gamper, S. 32f.). Ich sehe das im Zusammenhang mit der Di-
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