Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
51/52(136/137).2015/16
Seite: 456
(PDF, 88 MB)
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  (z. B.: IV, 145, xii)



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Neues Schrifttum

hinweg" künden, von der „Übereinstimmung des Einzelnen mit sich und seiner Welt",
vom „Moratorium des Alltags" und von der „einzigartigen Möglichkeit, einmal auszubrechen
aus dem gewohnten Gang der Dinge und in einer neuen Rolle daran teilzunehmen
." Akteure und Zuschauer, die nicht zu Wort gekommen seien, brächten während
der Fasnet zusammen etwas zuwege, „was kein Arzt und kein Psychologe je
vermögen: Leute fröhlich zu machen, ihnen ein paar unbeschwerte Stunden zu bescheren
und sie zum Lachen zu bringen." Dann bildeten Menschen „plötzlich eine große
Familie, geeint durch die Überzeugtheit davon, dass die Autorität der Tradition ihr kollektives
Handeln legitimiere", gefesselt auch vom besonderen Reiz der Fastnachtszeit
mit ihrer „fein dosierten Mixtur aus Bekanntem und Überraschendem, aus Repetition
und Innovation, aus Ritual und Spontaneität", durchaus im Wissen, dass „der Rausch
nur von kurzer Dauer" sei.

Man wird diesem Räsonnement, das die Bedeutung von Bild und Text bei der Behandlung
des Themas würdigt, eine gewisse Plausibilität nicht absprechen wollen. Es
gehört zur conditio humana, dass es auch während der Fastnachtszeit „ein paar unbeschwerte
Stunden", vielleicht gar fröhliche Tage gibt, doch man muss um den Preis als
Spielverderber zu gelten daran erinnern, dass sich hinter dieser biedermeierlichen
Fasnetsidylle alljährlich auch ein Abgrund an alkoholischen Exzessen, Schlägereien,
Taschendiebstählen und Frauenbelästigungen auftut, die das vorgeblich harmonische
Familienleben während der närrischen Tage massiv stören. Es ist ja nicht so, dass wir an
den tollen Tagen der Utopie einer konflikt- und aggressionsfreien friedlichen Gegenwelt
ansichtig würden. Die von den ordnungswütigen „Narrenzünften" streng kontrollierten
Rituale setzen vielfach nur neue, nicht weniger rebellionswürdige Reglements
gegen alte. Anarchischer Spiellaune geben sie nur wenig Raum. Die Ventilfunktion der
Fastnacht, nach der die Torheit „wenigstens einmal im Jahr ausgähren" müsse, „damit
sie das Faß nicht sprenge", wie Justus Moser ausgangs des 18. Jahrhunderts forderte,
war und ist deswegen stets von (notwendigerweise?) wenig ordentlichen Ausbrüchen
begleitet. Mancher Leser und Betrachter des wunderbaren Bildbandes, der Texte und
Fotos in hoher Qualität bietet, würde gerne auch mehr erfahren über die örtlichen und
regionalen Vereinsstrukturen der schwäbisch-alemannischen Fastnacht. Man sollte das
Augenmerk verstärkt auf die konkreten soziologischen Strukturen der Narrengruppen
richten und nach den politischen Orientierungen sowie den örtlichen und regionalen
Verflechtungen der Vereinsfunktonäre fragen, um den sich unter dem Einfluss des Zeitgeistes
immer wieder wandelnden Konjunkturen des Fastnachtsgeschehens konkret auf
die Spur zu kommen. Wenn die Narrenzünfte der historischen Forschung ihre Vereinsarchive
öffneten, ließe sich beispielsweise zeigen, welche Personen und Gruppen
während der NS-Zeit vor Ort die obsolete germanische Kontinuitätsthese argumentativ
vertreten haben. Ergänzend zu der von Wilhelm Kutter übernommenen, etwas angestaubten
naturräumlichen Karte des Untersuchungsgebietes (S. 59) hätte man auch
gerne eine Übersicht über die für die Fasnet höchst bedeutsamen, zersplitterten konfessionellen
Räume des Südwestens gehabt, um die evangelischen Orte und Regionen
von den katholischen Fastnachtslandschaften klarer unterscheiden zu können.

Aus hohenzollerischer Perspektive ist zu begrüßen, dass die Fasnetshochburgen Sigmaringen
, Hechingen, Haigerloch und natürlich auch das „Ehrsame Narrengericht"
von Grosselfingen in Text und Bild berücksichtigt sind. Zu bedauern ist allerdings, dass

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