http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2015-16/0465
Neues Schrifttum
das eigenartige „Fasnetvergraben" in Boll bei Hechingen, dem im Vorgängerband
(1999) noch eine halbe Seite gewidmet war (S. 112), im neuen Buch keinen Platz mehr
gefunden hat. Zu fragen ist auch, warum aktuelle, teilweise sehr heftig geführte Auseinandersetzungen
um einzelne Fastnachtsgruppen und -rituale ausgeklammert bleiben.
In Obernheim in der Nähe des Heubergs, dem historisch bezeugten frühneuzeitlichen
Hexentanzplatz der Region, kann man Jahr für Jahr das Spektakel eines Hexenverhörs
erleben, inklusive Folter und Verbrennung der „Unholda Moserin", eine Praxis, die
während der NS-Zeit ihren Anfang nahm. Der Vorgang hat vor Jahren sogar zu einer
juristischen Auseinandersetzung geführt, weil das Hinrichtungsritual nach Ansicht eines
Klägers die Leiden der vor Jahrhunderten tatsächlich hingerichteten „Hexen" in
unerträglicher Weise verhöhne. Neben den „Hexen" geben auch „Zigeuner"-Gruppen
an mehreren Orten Anlass zu Fragen. Während etwa im historischen „Zigeuner"-Dorf
Bisingen-Steinhofen seit 1950 eine fröhliche Gruppe an die örtliche „Zigeuner-Geschichte
erinnert, lädt man während der Fasnet in Boll seit 1981 alle vier Jahre zur „Zigeunerhochzeit
", wobei eine Reihe fragwürdiger, politisch inkorrekter Klischees weiterleben
, unberührt von der Bürgerrechtsbewegung der deutschen Sinti und Roma.
Solche Konfliktlagen klammert das Buch aus. Es ist sicher schwierig, wenn nicht unmöglich
, in das institutionell versteinerte, sozial und politisch vielfach vernetzte Geflecht
der Narrenzünfte und -verbände einzudringen. Die organisierte, in Ritualen erstarrte
Fastnacht entfaltet längst keine Gegenwelt mehr, schon gar nicht, wenn sie den
Fasnetsfunktionären sowie den kommunalen und regionalen politischen Spitzen alljährlich
ein willkommenes Forum der Selbstdarstellung bietet, auf „Großkopfeten"-
Tribünen während der Umzüge und bei „Narrengerichten", deren Fernsehtauglichkeit
sich nach der Prominenz der „Angeklagten" richtet.
Bisingen Paul Münch
Ulm und Oberschwaben. Zeitschrift für Geschichte, Kunst und Kultur. Im Auftrag des
Vereins für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben e.V. und der Gesellschaft
Oberschwaben für Geschichte und Kultur e. V. hg. von Andreas Schmauder
und Michael Wettengel in Zusammenarbeit mit Gudrun Litz. Bd. 59. Ulm: Süddeutsche
Verlagsgesellschaft 2015. 414 S., zahlr., überwiegend farbige Abb.
Wer einen Zeitschriftenjahrgang oder einen Sammelband herausgibt, trägt eine hohe bibliographische
Verantwortung, denn die Titel und Untertitel der Aufsätze müssen so
präzise wie möglich formuliert sein. In den Geisteswissenschaften, die noch keine
„Abstract-Kultur" kennen, müssen die bibliographischen Angaben für den Artikel stehen
, da die Verschlagwortung in Fachbibliographien und (bei Periodica ohnehin unübliche
) Rezensionen längst nicht das Gewicht haben wie das Zitat in anderen Publikationen
. Vor allem Ort und Zeit müssen erkennbar sein. Im neuen, zum Jahreswechsel
2015/16 zur Rezension eingelangten Jahresband 2015 von Ulm und Oberschwaben
gibt bereits der erste Aufsatz Anlass zur Kritik: „,cuius erat patria Schuscinrieht in Sue-
via'. Zu einem oberschwäbischen Kanonisten in Italien und der Kanonistik in Oberschwaben
im frühen 13. Jahrhundert". Es fehlt die Namensnennung: Wernher von
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