Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene, Bibliothek, Frei122-MZ18
Zeitschrift für kritischen Okkultismus und Grenzfragen des Seelenlebens
Band 1
Seite: 319
(PDF, 78 MB)
Bibliographische Information
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Besprechungen.

319

Es scheint mir nicht zweifelhaft, daß Schermann nicht nur die Höchstleistungen des
Graphologen darbietet, so daß er nervöse und geistige Erkrankung, Selbstmordsabsicht,
verstellte und nachgemachte Schrift feststellen kann, sondern daß er noch andere Erkenntnisquellen
benutzt, vor allem aus dem Wissen der Anwesenden „zapft". Schwerlich
kann man bloß aus der Schrift eines Menschen entnehmen, daß er gern Hüte mit
Pleureusen trägt, mit einer bestimmten Person verlobt ist, den Brief im Gefängnis geschrieben
hat, sich beim Essen bekleckst, eine kreischende Stimme hat usw. Alle diese
und zahlreiche ähnliche Aussagen wurden von Bekannten der geschilderten Person bestätigt
.

Aber als Basis der ganzen Untersuchung müßte doch erst die Feststellung da sein,
wieviel von dem Wissen Schermanns echt und wieviel Schein ist. Wenn man eine so
unübersehbare Tatsachenmasse, wie sie das Wesen eines Menschen bildet, in einer wortreichen
, oft mit unbestimmten Ausdrücken hantierenden Schilderung wiedergibt, so spielt
die psychische Osmose (vgl. S. 277 ff. ds. Hefts) ihre verwirrende Rolle, das Undeutliche
gewinnt eine übertriebene Bestimmtheit, das Schiefe sieht gerade aus, ob man den be*
treffenden Menschen als liebenswürdig oder brutal, als offen oder verschlossen schildert,
immer kann das irgendwie stimmen. Gegen diese Scheinrichtigkeit gibt es ein bewährtes
Mittel: Der Experimentator schreibt vor dem Versuch alle ihm bekannten charakteristischen
Eigenschaften des Briefschreibers auf. Das ist dann ein verhältnismäßig objektiver
, noch nicht osmotisch infiltrierter und durch Deutelei an die Graphologenaus^
sage angepaßter Befund, und stimmt letzterer trotzdem in mehreren wichtigen Punkten
mit ihm überein, so sind wir sicher, daß wir uns die Leistung des Schriftdeuters nicht
bloß einbilden. Fischer hat dieses Mittel der vorgängigen Fixierung nicht angewendet,
dadurch wackelt das Fundament seines Baues.

Immerhin, daß Schermann aus dem Geiste der Anwesenden zapft, scheint nicht
zweifelhaft. Dafür spricht schon, daß Sch. eine Person fast ebenso sicher und gut
schildern kann, wenn sich ein Anwesender dieselbe nur optisch vorstellt, als wenn er
selbst ein Schriftstück von ihrer Hand vor Augen hat. Und stellen sich nacheinander
zwei Anwesende denselben Menschen vor, so fällt Schermanns Beurteilung günstiger oder
ungünstiger aus, je nach dem Urteil, das der augenblicklich gerade Ubertragende von
jenem Menschen hat. Betrachtet Sch. eine Photographie und sagt darauf, der Dargestellte
habe spät geheiratet ond sei schon tot, so kann er auch das nicht dem Bilde,
sondern nur dem Wissen der Anwesenden entnommen haben. Unter acht Kärtchen übergibt
Fischer Herrn Schermann auch eins, auf das er mit dem Finger — also unsichtbar
— den jüdischen Davidsstern^ezeichnet hatte. Sch, zeichnet ihn nach, aber zu klein,
so daß also hyperästhetische Wahrnehmung der Fingerausdünstung keine Rolle gespielt
haben kann, und sagt, er sähe ihn leuchten. Fischer aberstellt sich den Davidsstern
vergoldet vor, wie er auf den Synagogen zu sehen ist. Wenn auch F., die Macht unterbewußter
Hypermnesie unterschätzend, glaubt, er habe die betreffende Karte nicht wiedererkannt
, als Sch. sie in Händen hielt, so ist es doch wohl sicher, daß Sch. auch hier
aus seinem Geiste gezapft hat. -

Aber wie gezapft? Vielleicht nur dadurch, daß sein hyperästhetisches Unterbewußtsein
das unwillkürliche Flüstern des intensiv denkenden Experimentators oder
andere verräterische Signale wahrgenommen hat? Damit wäre ja für die Telepathie-
frage nichts erreicht. Ausschließen lassen sich diese Fehlerquellen beim Nahversuche
niemals, auch wenn F. die Schwierigkeit damit erlecjigt zu haben glaubt, daß er versichert
, er habe sich vor Flüstern gehütet, seine Mienen festgehalten, er habe Sch. das
von ihm selbst fixierte Schriftstück nicht sehen lassen. Mit der unbegrenzbaren Reichweite
der hyperästhetischen Wahrnehmung rechnet er ebensowenig wie Bruck in
seinen telepathischen Versuchen.

Es gibt aber gewisse Anzeichen dafür, daß Sch.s „Zapfen" jedenfalls nicht ganz
von dieser unechten, untelepathischen Art ist. Durch unwillkürliche Zeichen muß sich
vor allem das mit scharfer Aufmerksamkeit Gedachte übertragen. Das intensiv Vorgestellte
drängt sich, wie gesagt, auf unsere Lippen und bewegt unser Gesicht. Telepathie
dagegen betrifft vornehmlich das unterbewußt, unaufmerksam, beiläufig Gedachte. Nun
fällt es auf, daß Sch. besonders schlecht jene präzisen Charakteristika errät, die wir als das


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