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Es sind in dem Buch auch einige recht interessante eigene Beobachtungen
Rauperts enthalten. Die wichtigste darunter ist die Angabe, daß unter sogenannten
Geisterphotographien, die er gemacht habe und an deren Echtheit kein
Zweifel sei, einmal das Gesicht einer Dame im Alter von 30 Jahren erschien,
während die wirkliche Persönlichkeit, deren Geist angeblich auftrat, noch
unter den Lebenden weilte und bereits 60 Jahre alt war. Raupert hatte sie seit
30 Jahren nicht mehr gesehen. Er weist mit Recht darauf hin, daß dieser Fall
beweise, daß das aufgetretene Phänomen keine Geistererscheinung, sondern
die Nachbildung einer Erinnerungsvorstellung von ihm war.
Die Differenz Rauperts gegenüber der wissenschaftlichen Parapsychologie
setzt erst bei der Theorie ein. Er lehnt sowohl den Spiritismus ab, der als die
Träger der Phänomene verstorbene Menschenseelen ansieht, als auch die Ansicht
, daß es sich um bisher unbekannte Wirkungen der Psyche des McdLums
handle. Vielmehr stellt er sich auf den Boden der dämonologischen Theorie.
Es seien niedere menschenähnliche, böse Geister, welche sich der Medien /u
bemächtigen streben.
In gewandter Weise und zum Teil mit guten Gründen tritt er dem Versuch,
Jesus und manche Heiligen, aus deren Leben häufig sog. Wunder berichtet
werden, einfach als „Medien" wie andere Medien anzusehen, entgegen. In der
Tat ist es wissenschaftlicher Unfug, sie ohne Einschränkung mit Home oder der
Eusapia in eine Linie zu stellen.
Sehr heftig wendet sich Raupert gegen den Versuch des Spiritismus, sich
an die Stelle des Christentums zu setzen. Er erblickt darin für das Christentum
eine schwere Gefahr, und es ist interessant zu hören, daP der Papst selbst
ebenso denkt. Oesterreich -Tübingen.
Sir Oliver Lodge. Making of Man. A. S + udy of Evolution. Verlag
von Hodder and Stoughton, London. 1924. 185 S.
Wer immer einmal mit Sir Oliver Lodge eine Berührung gehabt hat, w^rd
von ihm den Eindruck einer ungewöhnlich vornehmen Gesinnung empfangen
haben. Es ist einer jener Menschen, deren Dasein auch den Skeptiker und
Pessimisten für einen Augenblick in seinem Pessimismus gegenüber der Menschenwelt
stutzig macht.
In dem vorliegenden Werke entwickelt Sir Oliver Lodge seine Weltanschauung
. Sie ist eine selbständige Synthese des Evolutionsgedankens mit dem Spiritismus
. Aber weder im einen noch im andern Fall liegt eine einfache flache
Uebernahme irgendwelcher Dogmatik vor. Der Spiritismus, wie ihn Lodge formuliert
und begründet, mag eine sehr unbequeme, schwer widerlegbare Lehro
sein, aber der Charakter einer durchaus wissenschaftlichen Theorie kann ihm
unmöglich bestritten werden, wenigstens nicht von dem, der sein Urteil über
Theorien von logischen Erwägungen und nicht von Gemütswallungen bestimmt
sein läßt. Auch der Evolutionismus Lodges ist von dem populären,
nunmehr der Vergangenheit angehörigen mechanistischen Entwicklungsdogmatismus
des 19. Jahrhunderts wesentlich verschieden. Lodge kennt die moderne
Physik und Biologie dazu viel zu gut. Ebenso liegt ihm der dem Kontinental-
Europäer so leicht auf die Nerven fallende englische Traditionstheisnuis fern;
so sehr er auch auf dem Boden des Christentums steht, so ist doch alles philosophisch
vertieft und vergeistigt.
Lodge gibt eine Uebersicht über die Weltentwicklung von ihren primitivsten
Stufen in der anorganischen Welt an bis zu den höchsten menschlichen
Individualitäten, wie sie uns in den Propheten, Jesus und den Dichtern entgegentreten
. Ueberaus interessant ist eine neue eigenartige Hypothese über
diese höchsten Genialitäten, die eine Art von Inspirationslehre darstellt, obwohl
die ältere primitive Gestalt derselben vermieden wird. Lodge gibt der Vermutung
Raum, daß es sich bei derartigen Begabungen um Inkarnationen höherer geistiger
Wesen gehandelt hat, die aber nur einen Teil von ihrem Gesamtgeistet$4
umfang betraf. Er spielt sogar mit dem Gedanken, daß die drei Dichter
Vergil, Dante und Tennyson Manifestationen eines und desselben Wesens sein
möchten, angesichts ihrer geistigen Verwandtschaft. Diese Ideen sind theoretisch
interessante Fortbildungen von Myers' Theorien über das Unbewußte.
Oesterreich-Tübingen.
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