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384 Zeitschrift für Parapsychologie. 6. Heft. (Juni 1926.)
sätze lesen, es wurde starke Reklame für sie getrieben, und nun ist der Prozeß
in der ersten Instanz vorüber, ohne daß er die erwartete Sensation gebracht hat.
Es soll deshalb auch hier nur kurz über den Verlauf des Prozesses berichtet werden.
Als eine Besonderheit des Prozesses sei bemerkt, daß er nicht wie die sonstigen
Prozesse der letzten Zeiten auf Grund des Betrugsparagraphen stattfand, er ruhte
vielmehr auf einem bayrischen „Reservatrecht" aus der guten alten Zeit, auf dem
sog. Gaukeleiparagraphen des bayrischen Polizeistrafgesetzbuches aus dem
Jahre 1871. Der Paragraph lautet: „Wer gegen Lohn oder zur Erreichung eines
sonstigen Vorteils sich mit angeblichen Zaubereien oder Geisterbeschwörungen,
mit Wahrsagen, Kartenschlagen, Schatzgraben oder andern dergleichen Gaukeleien
abgibt, wird an Geld bis zu 150 Mark oder mit Haft bestraft.
Ciaire Reichart hatte nun in der Tat gegen Entgelt Wahrsagungen gemacht,
und so konnte der Verlauf des Prozesses kaum zweifelhaft sein, denn weder der
gute Glaube rettet einen Angeklagten, noch würde ein Hellseher, der in 100 Prozent
das Richtige träfe, freigesprochen werden können.
Aufsehen hatten gewisse Wahrsagungen erregt, die sie bekannten politischen
Personen gemacht hatte, wie dem früheren sozialistischen Minister Auer und dem
General Epp.
Der Prozeß wurde nur in kleinem Rahmen durchgeführt, weder Auer noch
Epp waren, wie man vorher erzählt hatte, geladen; nur Frau Auer machte ihre
Aussagen als Zeugin.
Wie es in dergleichen Prozessen meist geht, war es natürlich schwer, ein
klares Bild \on der Leistung der Seherin zu erhalten, denn wer weiß, ob nicht die
Zeugenaussagen durch Erinnerungstäuschungen und dergl. entstellt waren, denn
ein genaues Protokoll ist nur selten aufgenommen. Außerdem fragt es sich, wie
weit nicht auch ohne hellseherische Fähigkeiten es möglich gewesen wäie, z. B.
ein Attentat auf Auer mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorauszusagen.
Schwerwiegender sind vielleicht Angaben, die andere Zeugen machten, nie
z. B. die bekannte Amerikanerin Be\ eridge. Frau Beveridge gab an, die Angeklagte
habe ihr mancherlei mitgeteilt aus der Vergangenheit, was sie nicht wissen
konnte, und auch über die Zukunit Dinge gesagt, die nicht vorherzusehen waren,
aber dennoch eintrafen. So habe sie gesagt, das Dienstmädchen der Frau Beveridge
würde ein Kind bekommen, und bald darauf würde sie wahnsinnig werden. Ein
Naturwissenschaftler, Dr. Dietrich, hatte vor ein paar Jahren einige Versuche mit
der Angeklagten angestellt, er betonte, daß allerdings, wie fast immer bei Hell-
seTiern, Fehler vorgekommen seien, daß aber doch die Versuche zugunsten einer
hellseherischen und telepathischen Fähigkeit der Angeklagten spräcfien.
Wie schon oben angedeutet, wurde die Angeklagte auf Grund der Zeugenaussagen
, duich die erwiesen war, daß sie wahrsage und außerdem dafür vielfach
Entgelt nehme, verurteilt und zwar zu 100 Matk oder 10 Tagen Haft.
Der Rechtsanwalt der Angeklagten hat Berufung eingelegt, es scheint damit
versucht zu werc'en, gegen den Gaukeleiparagraphen, der in der Tat veraltet und
in dieser Form überflüssig, ja schädlich ist, Sturm zu laufen. Die Berufung wird
vermutlich sich in größerem Rahmen abspielen, auch Sachverständige sollen, soweit
man hört, hinzugezogen werden.
Zu unserer Mitteilung bezüglich des an der Universität Bonn im Sommersemester
gelesenen Kollegs über: „Probleme des Mediumismus*' teilt uns Herr
Prof. Dr. Verweyen mit, daß dasselbe von ihm gelesen wird. Herr Prof. Dr.
Htibner behandelt in etwa zwei Stunden innerhalb seiner knminalpsychologischen
Vorlesungen die Schwindeleien auf okkultistischem Gebiete und die Techn k der
Pseudomedien.
MT Die noch ausstehenden Beträge tür das lauf ende 2. Vierteljahr
sieht sich der Verlag, der große Rechnungen für Papier, Druck usw.
zu bezahlen hat, genötigt, In den nächsten Tagen mit Postnachnahme
einzuziehen und bittet um freundliche Einlösung.
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