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Reddingius: Eine Betrachtung über Todesprophezeiungen. 521

nacht. Um 12 Uhr werde ich sterben." Als es 12 Uhr war, drehte er sich um
und schlief dem Anschein nach ein. Seine Frau wurde ängstlich und ging zu
ihm. In diesem Augenblick erhob d'Encausse die Hand und wies mit dem
Finger auf die Uhr, welche eben Zwölf schlug. Die Hand ging nieder und er
war tot, ohne Todeskampf. Man teilte es der Enkelin mit, die im anstoßenden
Zimmer war. Das sonst verständige und sich beherrschende Mädchen bekam
einen Nervenanfall mit Schreikrampf.

d'Encausse hatte geglaubt, daß die Prophezeiung ihm vom Geist ssiner verstorbenen
Schwester eingegeben wurde. Geley meint, daß d'E. selbst hellseherisch
gewesen sei, welche Begabung in diesem Fall erblich sein sollte, weil auch
die Tochter sie in hohem Maße besitzt. Eben mit Rücksicht auf die große
Seltenheit des bei dieser Voraussetzung notwendigen hohen Grades des Voraussehens
und auf die Tatsache, daß eine Erblichkeit solcher Begabung nicht notorisch
ist, wäre es m. E. sehr gut möglich, daß d'E. telepathisch inspiriert worden
ist durch das auf die Formulierung sogenannten okkulten Wissens so sehr eingeübte
Unterbewußtsein seiner Tochter. Immerhin könnte dann die von ihr
inspirierte Eingebung gar nicht auf okkultes Wissen, sondern auf eine gänzlich
auf der Luft gegriffene, auf keine Tatsache sich gründende, unterbewußte
Phantasie zurückzuführen sein.

^i£inen ähnlichen Fall hatte schon früher Dr. de Sermyn gesehen .und in
seiner Arbeit „Conlnbution ä l'6tude de certaines facultes cerebrales me-
eonnues" mitgeteilt. Er behandelte einen 39jährigen Mann, namens Jean
Vitalis, der an einem akuten Gelenkrheumatismus erkrankt war. Am Abend
des i5. Krankheitslages waren die meisten Gelenke aufgeschwollen und sehr
schmerzhaft, und der Kranke hatte hohes Fieber. Am anderen Morgen war
de S. sehr erstaunt, ihn in setnen Kleidern und fieberfrei anzutreffen. Ganz
munter behauptete V., daß ihm in der Nacht der Geist seines gestorbenen Vaters
erschienen sei, ihn, um die Schmerzen und das Fieber zu beseitigen, mit sofortigem
Erfolg überall berührt, und bevor er verschwand, ihm noch gesagt
habe, daß er, ohne zu leiden, am selben Abend um, 9 Uhr sterben werde. Wahrscheinlich
sei das der Wunsch seines Vaters, der ihn vielleicht nötig hätte. Er
hatte deshalb seinen Beichtvater zu sich berufen, um die letzten Sakramente
entgegenzunehmen.

Am Mittag zurückkommend, sah de S. ihn im Zimmer auf und ab gehen
und erlaubte ihm, weil er hungrig war, nicht fieberte und ganz gesund schien,
sich ein Beefsteak mit Kartoffeln vorsetzen zu lassen. Um 8 Uhr sprach de S*
wieder vor und fand die Familie versammelt. Man plauderte und lachte, aber V.
sah mehrmals nach der Uhr. Um 8.59 stand er auf, sagte „Die Stunde ist
gekommen", und umarmte %seine Frau und Geschwister. Flink stieg er ins
Bett, schichtete die Kissen, verneigte sich mehrmals, indem er „Adieu, adieu"
sagte, legte sich hin und regte sich nicht mehr. Der Arzt hielt es für einen
düsteren Spaß und glaubte, daß der Mann sich nur so stelle. Er war aber
wirklich tot. Sicherheitshalber hat man die Beerdigung aufgeschoben, bis Verwesungssymptome
sich einstellten.

Wer sich nicht zu dem Glauben an ein den Tod überlebendes Ich bekennt
, wird mit der Beantwortung der Frage, wer denn im obigen Fall den
Todeswunsch inspiriert hat, seine Mühe haben. Unmöglich ist es jedoch nicht,
wegen der heftigen Schmerzen des Kranken, an einen unterbewußt geplanten
und unterbewußt ausgeführten Selbstmord zu denken.


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