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Chiva: Erscheinungsformen der lebenden Materie.

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«ich längere Zeit kultivieren. Bindegewebszellen blieben in einem Versuch, der
über 9 Jahre dauerte, am Leben. Somit steht fest, daß das lebende Protoplasma
außerhalb des zugehörigen mehrzelligen Organismus ebensogut wie innerhalb
desselben existieren kann. Man nahm bisher Lebensäußerungen nur dann wahr,
wenn die lebende Materie flüssige Beschaffenheit hatte. Das Wasser bildet
einen Hauptbestandteil des Protoplasmas und die lebende Substanz enthält
durchschnittlich 750/0 Wasser. Viele Pflanzen können einen Wasserverlust bis
zu 90 0/0 vertragen, ohne daß dieser enorme Wasserentzug sie zu schädigen vermag
. Manche Pflanzensamen können austrocknen und dennoch ihre Keimfähigkeit
über 100 Jahre bewahren. Die Austrocknungsfähigkeit der Moose
und Flechten ist noch größer. Man kann sie nach A. Tröndle sogar pulverisieren
, und trotzdem nehmen sie ihre Lebenstätigkeit wieder auf, sobald sie
wieder mit Wasser befeuchtet werden. Ihr Protoplasma erstarrt gallertartig
und verflüssigt sich wieder bei Wasseraufnahme. Man spricht in solchen Fällen
von latentem Leben, da die Lebensfähigkeit erhalten bleibt, Lebensäußerungen
jedoch nicht wahrgenommen werden können. Diese Definition wird den Tatsachen
nicht ganz gerecht. Der physikalische Zustand des Protoplasmas ist es,
der sich verändert. Das Leben aber wird durch Aenderung desselben keinesfalls
beeinträchtigt. Die Lebensäußerungen sind für uns eben nur in bestimmten
Formarten des Protoplasmas feststellbar. Der gewöhnliche Aggregatzustand
ist aber füi die lebende Materie ebensowenig charakteristisch,, wie etwa
der flüssige Zustand für die chemische Verbindung H20, denn nichts ist wandlungsfähiger
als gerade die Formart. Die physikalischen Zustände der Materie
wurden erst in allerletzter Zeit eingehend studiert, wobei deren Relativität nachgewiesen
werden konnte.

Im Laufe der letzten Jahrzehnte entstand ein neuer Zweig der physikalischen
Chemie, die Kolloidchemie, deren Aufgabe darin besteht, die Ueber-
gänge zwischen den drei Aggregatzuständen fest, flüssig und gasförmig im Zusammenhange
mit der Teilchengröße zu studieren und u. a. festzustellen, inwiefern
die Eigenschaften eines Körpers lediglich durch seinen physikalischen
Zustand und die Feinheit der Verteilung bedingt sind. Thomas Graham war
der erste, der diesen wichtigen Gegenstand untersuchte. Er führte für Körper,
deren Normalzustand einen Uebergang bildet, die Bezeichnung Kolloide ein.
Der Leim (colla) ist ein typischer, zuerst untersuchter Vertreter eines zwitterartigen
Aggregatzustandes. Graham vertrat die Anschauung, daß nur wenige
.Stoffe in dem kolloiden Zustand überführt werden könnten, weshalb er dem
kolloiden Zustand, als eine Welt für sich, der kristalloiden Formart entgegenstellte
. Es gelang dagegen dem genialen russischen Chemiker P. P. v. Weimarn
für die unbelebte Materie den Beweis zu erbringen, daß, genau so wie ein fester
Stoff verflüssigt, ein flüssiger vergast werden und jeder aus dem gas-, im flüssigen
oder festen Zustand zurückgewonnen werden kann, auch der kolloide und
der kristalloide Zustand wechselseitig ineinander überführbar sind. Für jeden
anorganischen oder organischen, aber unbelebten Stoff, sind nach seiner Theorie
alle Formarten oder Aggregatzustände möglich, ohne daß der Körper durch
die Aenderung der Form auch chemisch wesentlich verändert wird. Die bisherigen
kolloidchemischen Untersuchungen beschränkten sich auf die Feststellung
bzw. Variation der Formart lebloser Stoffe, und hat meines Wisset»
bisher niemand auch nur die Vermutung ausgesprochen, daß die Weimarnsche
Theorie der Erscheinungsformen der Materie auch auf das organisierte Lebens-


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